DOMRADIO: Wie weit muss ein Katholik fahren oder gehen, um das Sonntagsgebot zu erfüllen?
Prof. Dr. Peter Schallenberg (Moraltheologe und christlicher Sozialwissenschaftler): Das ist natürlich jetzt eine sehr zugespitzte Frage, wo ein Gutes gegen ein anderes Gutes in Abwägung gebracht wird. Und da müsste man jetzt klassisch fragen: Was ist das Wichtigere von zwei guten Dingen? Also um des Klimas Willen auf das Auto mal zu verzichten oder zur Messe zu gehen.
Grundsätzlich würde ich immer als Faustregel nehmen: Dem Gottesdienst soll nicht vorgezogen werden, schon in der Benedikt-Regel und in der Tradition der Kirche. Grundsätzlich gilt es, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass man sonntags zu einer Messe gehen kann.
Zweitens muss man ja sagen, diese autofreien Tage sind jetzt auch mehr ein Zeichen, was gesetzt werden soll. Ich kann auch an einem beliebigen anderen Tag in der Woche aufs Autofahren verzichten und nicht gerade an dem Tag, wo ich möglicherweise nur mit dem Auto zur Messe käme.
DOMRADIO: Während der Corona-Pandemie wurde ja an vielen Orten das Sonntagsgebot aufgehoben. Glauben Sie, dass der sonntägliche Gottesdienstbesuch dadurch für viele unverbindlicher geworden ist?
Schallenberg: Das ist eine gute Frage. Die führt uns allerdings in etwas kirchenpolitische Untiefen. Ich will nicht verhehlen, dass ich diese Aussetzung des Sonntagsgebotes für etwas übereilt gehalten habe, sagen wir mal vorsichtig. Aber die Zeiten liegen hinter uns.
Dass man in manchen Diözesen etwas den Überblick verloren hat, erhellt vielleicht auch aus der Tatsache, dass manche die Aussetzung der Sonntagpflicht nicht nicht wieder aufgehoben und diese Pflicht nicht wieder eingeführt haben, sondern dass das stillschweigend unter die Räder des Alltags gelangt ist.
Summa summarum, auf den Punkt gebracht, glaube ich schon, dass diese Aussetzung etwas dazu beigetragen hat, dass die Sonntagpflicht noch mehr in Vergessenheit geriet, als sie vielleicht in den letzten 20, 30 Jahren schon geraten ist. Man muss auch sagen, dass die Rede von der Sonntagspflicht jetzt nicht sehr glücklich ist.
Erinnern wir uns, was der Herr gesagt hat: "Tut dies zu meinem Gedächtnis" und das, was alt-christliche Tradition mindestens am Sonntag ist und dass es in der Woche auch sein kann und soll und dass die Werktagsmessen keine Selbstbeschäftigung des Klerus ist. Und dann ist man, glaube ich, auf der richtigen Spur.
DOMRADIO: Sie sind ja auch christlicher Sozialwissenschaftler. Wo sehen Sie das Sonntagsgebot in zehn Jahren?
Schallenberg: Alles, was zum Gebot oder gar zur Pflicht erklärt wird, ist eigentlich schon randständig und wird jetzt mit sanfter Gewalt versucht in Erinnerung zu rufen. Die Rede von den Pflichten ist in der Moraltheologie, auch in der Sozialethik ja ohnehin etwas mit Misstrauen zu betrachten.
Es gibt die Lehre von den Pflichten gegen sich selbst oder von den Pflichten der Kinder gegen ihre Eltern oder auch der Eltern gegenüber ihren Kindern. Würden wir eigentlich auch von Pflichten gegenüber Freunden sprechen? Ganz versunken in der moraltheologischen Tradition, ohne dass wir das jetzt hier können und wollen, ist die "eheliche Pflicht" meines Erachtens eine verhängnisvolle Redeweise, die in keinster Weise unserer Vorstellung vom Ideal einer Ehe und einer Freundschaft entspricht.
Immer wenn in der Tugendethik von Pflicht die Rede ist, dann ist das ein Zeichen dafür, dass eigentlich schon Dämme gebrochen sind. Und deswegen ist die Rede von der Sonntagspflicht auch mehr oder weniger die Erinnerung daran, dass wir dankbar zu sein haben gegenüber Gott, unserem Schöpfer. Wer das nicht ist, dem hilft die Rede von der Pflicht nicht.
Das Interview führte Tommy Millhome.