DOMRADIO.DE: Das Bistum Münster hat in der vergangenen Woche seine Studie zum sexuellen Missbrauch veröffentlicht. Den damaligen Bischöfen Keller, Tenhumberg und Lettmann werden darin im Umgang mit Missbrauchsfällen große Fehler vorgeworfen. Beschuldigt wird aber auch Bischof Höffner, späterer Kölner Erzbischof. Wie geht es Ihnen mit solchen Nachrichten?
Monsignore Guido Assmann (Kölner Dompropst): Mir geht es so wie wahrscheinlich den meisten von uns, die diese Nachrichten hören, dass jeder einzelne Fall, jede einzelne Situation von Missbrauch und falschem Umgang damit im jeweiligen Zeitkontext auch, mag es noch so lange her sein, immer wieder erschreckt; wobei mich die Studie selbst nicht erschreckt hat.
Die Zahlen sind sehr hoch und das ist das eigentlich in der Summe Erschreckende. Aber wir müssen – so schlimm das ist – leider davon ausgehen, dass in auch den weiteren Gutachten, die in anderen Bistümern in Auftrag gegeben werden, wahrscheinlich ähnliche Situationen beschrieben werden, also in einem Zeitkontext behandelt werden, wo man anders mit Missbrauch umgegangen ist, als man heute umgehen würde und auch umgehen muss.
DOMRADIO.DE: Als Konsequenz wurde jetzt der Zugang zu den Grablegen der Bischöfe versperrt und das soll auch erst einmal so bleiben, bis entschieden ist, wie an die Verfehlungen der Bischöfe erinnert werden soll. Stichwort: Gedenktafel, das ist eine Möglichkeit. Wie empfinden Sie diesen Schritt Ihres Mitbruders in Münster?
Assmann: Als das Gutachten im März vergangenen Jahres hier in Köln veröffentlicht worden ist, hatten wir gerade Corona-Hochsaison, so dass damals aus dieser Situation heraus unsere Krypta, von der aus man zur Grablege der Bischöfe bei uns im Kölner Dom kommen kann, geschlossen war, so dass sich bei uns damals diese Frage so nicht gestellt hat, als der erste Aufschrei und auch das Entsetzen und die erste Sprachlosigkeit spürbar war – auch bei uns.
Mittlerweile ist die Krypta wieder zugänglich, allerdings ist sie nur der Vorraum zu dem Ort, wo die Bischöfe bestattet werden.
DOMRADIO.DE: Jetzt sind ja auch im Kölner Dom Alt-Erzbischöfe bestattet. Kardinal Höffner haben wir gerade schon erwähnt. Auch Kardinal Meisner werden Pflichtverletzungen vorgeworfen. Der Besucher kommt gar nicht so nah an die Grablegen heran. Deswegen ist die Situation natürlich eine andere. Aber gibt es dennoch jetzt im Domkapitel im Hintergrund vielleicht Gespräche, wie man sich in Zukunft verhalten soll?
Assmann: Das ist ein wichtiges Thema, dem wir uns als Kapitel immer wieder stellen, auch meine Vorgänger mit den jeweiligen Domkapiteln. Wie gehen wir mit historischen Gegebenheiten um? Der Dom, wie er jetzt da steht, kann zu einem großen Teil auf 700 Jahre Geschichte zurückblicken. Und da gibt es manche verstörende Dinge.
Wir staunen über die tolle Architektur, die vielen Menschen, die dran gearbeitet haben, denen wir dankbar gegenübertreten, sehen aber auch am Dom durchaus Dinge, die wir heute viel kritischer sehen, die man heute auf keinen Fall mehr so machen würde.
Denken wir nur mal an Hakenkreuze oben im Dachbereich, die jetzt nicht zugänglich sind, aber die uns an schlimme Zeiten erinnern, die auch am Kölner Dom nicht vorbeigegangen sind. Denken wir an Judenverschmähungen, die ja auch im Moment wieder in der Diskussion sind. Oder das Thema, was Sie jetzt ansprechen, dass wir dort einzelne Gräber von Menschen, von Bischöfen haben, die in ihrem Leben sicherlich viel Gutes gemacht, aber auch Verfehlungen begangen haben oder falsche Entscheidungen getroffen haben.
Wir haben uns bisher immer so entschieden und ich glaube, damit sind wir ganz gut auf dem Weg, dass wir Geschichte nicht auslöschen, indem wir Dinge verschwinden lassen oder verstecken oder zuhängen, sondern indem wir das kritisch aufarbeiten, uns dem auch kritisch stellen.
Beispielsweise gibt es zur Verschmähung von Juden, die hier und da im Dom sichtbar ist, einen eigenen Auftrag für ein Kunstwerk. Wir sind wissenschaftliche Aufarbeitung angegangen und das wird auch die Lebensgeschichte von Persönlichkeiten sein.
Ich habe mir aufgrund dieser Frage, die ja im Moment so im Raum steht, die Gräber unserer Bischöfe noch einmal angeschaut. Sie sind im Kölner Dom eigentlich sehr schlicht gehalten. Das ist also eine Grabstätte, wo der Name draufsteht, Geburts- und Sterbedatum und die Zeit, in der jemand Bischof war, sowie das persönliche Wappen, aber nichts, das irgendwie heroisierend ist oder dieses Leben oder diese Person noch einmal besonders hervorhebt.
Bei jeder Beerdigung, auch bei Bischöfen, beten wir immer: "Schenke den Verstorbenen Vergebung und Frieden." Wenn wir auf unseren Friedhöfen nur Menschen beerdigen würden oder Gräber zugänglich machen würden, wo jemand sündenlos gelebt hätte, dann wären unsere Friedhöfe leer.
DOMRADIO.DE: Man könnte zum Beispiel eine Gedenktafel anbringen und Dinge erklären.
Assmann: Ich halte es für einen sinnvollen Weg, wie wir es im Erzbistum versuchen und tun, kritisch mit den Vorfällen umzugehen, das auch wissenschaftlich aufzuarbeiten, auch in entsprechenden Schriften, die veröffentlicht werden, auch diesen wichtigen Aspekt nicht unter den Tisch fallen zu lassen, sondern neu hinzuzunehmen.
Die Historiker, die auch über die Bischöfe Bücher oder Biografien verfassen, die werden das vielleicht auch mit etwas Abstand richtig einordnen, damit auch nachfolgende Generationen das einordnen können, damit es uns Mahnung ist.
Zunächst einmal ist das Grab ein Ort, wo ein Mensch auf die Auferstehung wartet und auch unser Gebet braucht. Indem wir diese Gräber dort im Dom haben, fühlen wir Priester, die am Dom ihren Dienst tun wie auch die dort betenden Menschen uns dazu verpflichtet, für unsere Verstorbenen zu beten und sie auch der Vergebung Gottes zu empfehlen im Wissen darum, dass damit nichts ungeschehen gemacht werden kann.
Aber ohne die Vergebung Gottes und ohne das Gebet der Gläubigen wäre ein wichtiger Teil unserer Verantwortung füreinander auch zu kurz gekommen.
Das Interview führte Tobias Fricke.