DOMRADIO.DE: Der gotische Chor ist das Epizentrum des Doms, so haben Sie das formuliert. Was macht den Domchor so wichtig, sogar noch wichtiger als die beiden imposanten Türme?
Monsignore Guido Assmann (Kölner Dompropst): An dieser Stelle steht der Dreikönigenschrein. Der Dom ist als Schrein um den Schrein der Heiligen Drei Könige gebaut. Die Reliquien haben damals, als der Dom im Bau war und die Reliquien in Köln angekommen waren, Menschen aus ganz Europa angezogen. Seit 700 Jahren können wir dort Gottesdienst feiern. Seit 700 Jahren beten Menschen dort und singen. Auch heute kommen viele Menschen jeden Tag in den Dom und staunen, wie Menschen sich dieses Bauwerk erdacht haben.
Diejenigen, die das Bauwerk geplant haben und mit dem Bau angefangen haben, hatten keine Erfahrung, ob so ein großes Gebäude überhaupt halten kann. Es war damals das größte Gebäude der Welt. Sie wussten, wir werden das selber nie fertig sehen. Aber es ging darum, Gott die Ehre zu geben. Da können wir heute nur staunen. Ich bin sehr dankbar und froh, in diesem Dom sein zu dürfen.
DOMRADIO.DE: Sie feiern ja selbst auch immer wieder an diesem Altar Gottesdienst. Wie ist das, wenn Sie da stehen? Spüren Sie dann auch etwas von der Aura dieses ganz besonderen Ortes, an dem seit 700 Jahren Menschen Gottesdienst gefeiert haben?
Assmann: An diesem Altar, der jetzt vor dem Schrein steht, feiern wir nicht regelmäßig Gottesdienst, sondern nur an ganz besonders großen Festen. Wir feiern meist in der sogenannten Vierung die Messe, weil dann einfach mehr Gläubige den Altar sehen und sich um den Altar versammeln können.
Aber zu wissen, dass an diesem Altar vor genau 700 Jahren die erste Messe gefeiert worden, ist schon beeindruckend. Am 27. September 1322 war es das erste Mal. An dem gleichen Tag 700 Jahre später werden wir wieder die Messe dort feiern.
Als ich im vergangenen Jahr dort zum ersten Mal die Messe feiern durfte, war das schon unheimlich beeindruckend. Der Stein atmet die Geschichte und könnte Geschichten von Menschen erzählen, die hier zu Gott gebetet haben.
DOMRADIO.DE: Stellen wir uns das mal vor, wie das damals gewesen sein muss. Im Domchor wurden Gottesdienste gefeiert. War das Langschiff da noch geschlossen? Und wo standen dann die Gläubigen?
Assmann: Der mittlere Teil, wo sich heute die Gläubigen versammeln, war höchstens zu einem Drittel fertig. Um aber dort schon Gottesdienst feiern zu können, wurde eine Mauer eingezogen. Wenn man heute hinter der sogenannten Vierung ungefähr dort, wo der Bischofsstuhl steht, in den Dom hineinschaut, war dort bis zu dem Ort, wo am Sonntag die Predigt gehalten wird, von unten bis oben eine Mauer eingezogen. So war dort ein abgeschlossener Raum möglich.
In diesem Raum in der Mitte, dem sogenannten Binnenchor, wo das alte Chorgestühl steht, das auch schon 700 Jahre alt ist, haben sich die Geistlichen und besondere geladene Gäste versammelt. Die anderen Gläubigen waren in dem heutigen Chorumgang, sodass dies ein geschlossener Raum war. Er war auch viel bunter als heute. Auch die Säulen waren angemalt. Aber selbst dieser Teil des heutigen Domes war damals schon riesig und hat viele Menschen angezogen.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie ein großes Jubiläumsprogramm auf die Beine gestellt. Es gibt Konzerte, eine Ausstellung, Spezialführungen. Die Spezialführung findet multimedial statt. Wie kann man sich das vorstellen?
Assmann: Es wird über hundert spezielle Sonderführungen geben, für die man sich beim DOMFORUM anmelden kann. Das DOMFORUM bietet ja alle Führungen im Dom an. Zehn Tablets stehen zur Verfügung, sodass Gruppen zu zehn Personen gebildet werden können. Die Gruppe wird in den Binnenchor, also sozusagen in den Bereich des Geburtstagskindes geführt. Man kann das Tablet dann starten. ES wird alles gut angeleitet und ist gar nicht kompliziert.
Durch dieses Tablet schaut man wie durch einen Bilderrahmen und sieht durch das Tablet das, wohin man gerade schaut. Man kann es auch bewegen und sieht auf dem Tablet dann, wie der Dom nach heutigem Forschungsergebnis vor 700 Jahren ausgesehen hat. Man sieht die Mauer. Man sieht den Altar. Und man staunt. Der Schrein ist weg, weil er dort vor 700 Jahren nicht gestanden hat, sondern an einer anderen Stelle. Man sieht die Ausmalungen. Man sieht sogar zu dieser Uhrzeit, zu der man diese Führung hat, welcher Sonnenstand war und welches Licht durch dieses Fenster fällt. Das ist unheimlich beeindruckend.
Ein studentischer Mitarbeiter unseres Dombaus hat dort mehrere Monate dran gearbeitet. Mit 3D-Digitalaufnahmen ist dieser alte Teil des Doms digitalisiert worden. Das ist ganz hervorragend und hat mich sehr fasziniert.
DOMRADIO.DE: Unter den Jubiläumskonzerten ist vielleicht eines ganz besonders hervorzuheben, nämlich die Uraufführung des Dreikönigsoratoriums von Helge Burggrabe Mitte September. Was ist da das Besondere?
Assmann: Es gibt einen eigenen Auftrag für dieses Werk. Das Domkapitel hat überlegt, wie wir etwas besonders hervorheben und Menschen mit moderner Musik in der heutigen Zeit ansprechen können. Denn wir wollen ja nicht nur erzählen, dass der Chor etwa 700 Jahre alt ist. Vielmehr wollen wir den Dom auch den Menschen nahebringen, die heute in den Dom kommen.
Das galt es zu verbinden. Das schöne alte Kleid des Domchores mit moderner Musik. Ich glaube, das kann etwas sehr Spannendes und Ansprechendes sein. Dem wollen wir uns sehr gerne stellen. Deshalb gibt es diese Auftragskomposition.
DOMRADIO.DE: Dann haben sie noch eine Sommerausstellung im DOMFORUM geplant.
Assmann: Es gibt im DOMFORUM eine Ausstellung, die bereits begonnen hat. Künftig wird sie in einen Raum im Dom wechseln, sodass sie sich möglichst viele Menschen anschauen können. Das ist etwas zur Baugeschichte, zu der zeitlichen Geschichte, als dieser Dom, wie wir ihn heute jetzt kennen, entwickelt und geplant worden ist.
Das sind schöne Schautafeln, die man sich auch gut ohne ein kunsthistorisches oder theologisches Studium absolviert zu haben anschauen kann.
Ein großes Dommodell steht jetzt auch im Dom, das ein Syrer geschnitzt hat. Es gibt also vieles zum Anschauen, sodass wir hoffen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene allen Alters sich angesprochen fühlen können.
Das Interview führte Hilde Regeniter.