Nachdem das Europaparlament am Mittwoch den Weg zur Deklaration von Atomkraft und Gas als nachhaltige Energie frei gemacht hat, haben Umweltschützer und Sozialaktivisten den Entscheid kritisiert. Sie warfen den Parlamentariern unter anderem ein Einknicken vor der Energielobby sowie "Greenwashing" vor.
Greenpeace sprach von einem "ungeheuerlichen Ergebnis" und kritisierte, dass dadurch weiterhin Geldmittel an Russland als Gaslieferanten flössen, das damit den Krieg in der Ukraine finanzieren könne. Die Umweltschützer kündigten an, gegen die Entscheidung juristisch vorgehen zu wollen.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) forderte ferner die Bundesregierung auf, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Entscheidung einzureichen. "Mit seiner Entscheidung beugt sich das EU-Parlament den kurzfristigen Lobbyinteressen der Gas- und Atomindustrie. Das ist ein Fiasko für den Klimaschutz und die europäische Energiewende", sagte der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch). "Nun können dringend benötigte Gelder für erneuerbare Energien in klimaschädliches Gas oder die hochriskante Atomkraft fließen."
Ein Verband von Ärzten gegen einen Atomkrieg (IPPNW) wies auf die Abhängigkeit der Atomkraftwerke in Osteuropa von Russland hin. In der Slowakei, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Slowenien, aber teilweise auch in Finnland würden Kernkraftwerke mit russischen Brennelementen befeuert.
Auch kirchliche Institutionen hatten vor den Auswirkungen der neuen Taxonomie gewarnt. Diese sei weder sozial- und umweltpolitisch noch menschenrechtlich verantwortlich, heißt es in einem Positionspapier des Hilfswerks Misereor. Geopolitische, energiewirtschaftliche und klimatische Risiken könnten dadurch zu realen weltweiten Gefahren mit unterschiedlichen regionalen Ausprägungen werden. Darunter litten insbesondere die Länder im globalen Süden, wo Gaswirtschaft und Uranabbau betrieben würden. Stattdessen müssten verbindliche umwelt- und menschenrechtsbezogene Sorgfaltspflichten und Mindeststandards im Energiehandel etabliert werden.
Ebenso hatte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) den Vorschlag abgelehnt. "Ein ethisch-nachhaltiges Investment wäre das nicht", erklärte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp am Dienstag in Berlin. "Die sozial-ökologische Transformation ist die menschliche Kernaufgabe des 21. Jahrhunderts", so Stetter-Karp. "Sie ist unverzichtbar, um die Erde als Lebenswelt zu erhalten".
Nur 278 der Abgeordneten in Straßburg hatten am Mittwoch gegen den von der EU-Kommission eingebrachten Vorschlag zur neuen Umwelttaxonomie gestimmt - gebraucht hätte es jedoch eine absolute Mehrheit von 353 der 705 Abgeordneten. Nach dem Entwurf der EU-Kommission sollen Investitionen in Gaskraftwerke und Kernenergieanlagen unter bestimmten Voraussetzungen als nachhaltig eingestuft werden können. Als Übergangsquellen seien sie für einige Mitgliedsstaaten die einzige Möglichkeit, die EU-Klimaziele zu erreichen, hieß es. (KNA, 06.07.2022)