Es war ein langer Tag. Nach unserer Ankunft in Accra, der Hauptstadt von Ghana, sind wir an die Goldküste am Atlantik aufgebrochen. Wir wollen eine Sklavenburg besichtigen.
Die tropische Hitze im typisch afrikanischen Kleinbus, den nur Fahrtwind, aber keine Klimaanlage kühlt, setzt den Jugendlichen, mit denen ich unterwegs bin, und mir zu.
Ein Jahr lang haben wir diese Reise in der Schule vorbereitet. Viel Zeit haben wir auf den transatlantischen Sklavenhandel und die Kolonialzeit verwandt. Ich bin überzeugt: Nur wenn wir unsere Geschichte kennen, können wir die Gegenwart, zum Beispiel den allgegenwärtigen strukturellen Rassismus in Europa verstehen.
Und nur was wir verstehen, können wir ändern.
Elmina Castle, die berühmt-berüchtigte Sklavenburg, liegt fast an der Küste. Jahrhunderte lang sind hier, zuerst unter den Portugiesen, dann den Niederländern und schließlich den Briten, Frauen und Männer als Sklaven in Verliesen gefangen gehalten worden.
Falls sie überlebten, wurden sie von hier aus auf Schiffe verladen und nach Mittel- oder Nordamerika gebracht.
Unsere Gruppe bekommt einen jungen ghanaischen Guide. Er hat Geschichte studiert und brennt dafür, die Geschichte der Sklavenburg den deutschen Jugendlichen zu erzählen.
Die Jugendlichen bekommen eine emotionale Führung. Sie erleben die Verliese, in denen z.B. 100 Frauen monatelang auf engstem Raum gedrängt lebten. Es gab keine Toiletten und keine Fenster. Der Gestank muss bestialisch gewesen sein.
Die Jugendlichen stehen in Verliesen, in denen durch eine Miniöffnung einmal am Tag karges Essen heruntergeworfen wurde.
Sie sehen eine 25 Kilo Kugel, an die Frauen gekettet wurden, die sich der Vergewaltigung durch Kolonialherren widersetzen wollten.
Die Jugendlichen sehen im 1. Stock der Sklavenburg aber auch große, luftige Räume mit traumhaftem Blick auf die Küste. Hier haben die Gouverneure residiert, getanzt, gegessen.
Oder gebetet. Ausgerechnet über einem der grausamsten Verliese, ist eine Kapelle im ersten Stock.
Psalm 132 steht an der Wand geschrieben.
Bei der Vorstellung, dass unmittelbar über diesem maßlosen Leid ungerührt gebetet wurde, wird mir übel.
Zu Hause schlage ich nach. In Psalm 132 heißt es: Deine Priester sollen sich in Gerechtigkeit kleiden und deine Frommen sollen jubeln.
Was für ein Zynismus!
Der auch die Jugendlichen beschäftigt. Abends setzten wir uns zusammen, besprechen die grausame Begegnung mit der Vergangenheit.
Eine Schülerin schaut mich bewegt an und sagt: „Da begreift man plötzlich, dass das relevant ist, was wir gelernt haben.“ Einen wunderbareren Satz kann man nicht zu seiner Lehrerin sagen.