Der Bundestag versucht nun im zweiten Anlauf die Sterbehilfe zu regeln. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid aufgehoben.
Dabei formulierten die Karlsruher Richter ein Grundrecht auf Selbsttötung - unabhängig von Alter oder Krankheit. Dem Gesetzgeber legten sie zugleich nahe, Missbrauch zu wehren und einer Normalisierung zu verhindern, da diese die Selbstbestimmung des Einzelnen gefährden könne. Am Freitag befasste sich der Bundestag in Erster Lesung mit drei Gesetzentwürfen von parteiübergreifenden Parlamentariergruppen sowie einem Antrag zur Stärkung der Suizidprävention.
In der gut einstündigen Aussprache ging es vor allem um Abwägungen zwischen diesem neu ausformulierten Grundrecht und den Forderungen nach einem Schutz des Lebens. Genau hier unterschieden sich auch die drei Vorlagen. Einer Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) ging es vor allem darum, bei aller Sicherstellung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben möglichen Missbrauch zu verhindern und die Prävention zu stärken. Sie will die Suizidbeihilfe weiter über das Strafrecht regeln. Der Lebensschutz rechtfertige diesen Rückgriff, so Patrick Schnieder (CDU).
Eine Parlamentariergruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP), Helge Lindh (SPD) und Petra Sitte (Linke) will hingegen das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung stärken. Dem widerspreche es, wenn Menschen der Zugang zu tödlichen Mitteln verwehrt werde, so Helling-Plahr. Sie verlangte "höchsten Respekt" für Menschen, die Beihilfe zur Selbsttötung leisten. Und Sitte betonte, dass dieses Recht allen zugänglich sein müsse.
In dieselbe Richtung ging auch die dritte Vorlage der Grünen-Politikerinnen Renate Künast und Katja Keul. Hier geht es vor allem um den Zugang zu tödlichen Mitteln. Dabei wird unterschieden, ob Betroffene ihren Tod wegen einer schweren Krankheit anstreben oder aus anderen Gründen. Im ersten Fall sollen Ärzte ein tödliches Medikament verschreiben können. Anderenfalls verlangen sie längere Wartefristen und strengere Dokumentation. Lukas Benner (Grüne) sah durch ein gesichertes Verfahren das Grundrecht auf Selbsttötung garantiert. Derzeit finde die Beihilfe in "rechtlichen Grauzonen statt".
Ein wesentliches Anliegen aller drei Entwürfe besteht darin, die Selbstbestimmung sicherzustellen; dass es sich also tatsächlich um eine autonome, freie Entscheidung zur Selbsttötung handelt. Dazu sind Beratungspflichten, mehr oder weniger lange Schutzfristen oder ein Vier-Augen-Prinzip bei den Ärzten vorgesehen. Die unterschiedlichen Maßnahmen zeigen nicht nur, wie schwierig das ist, sondern auch, dass es hier offenbar nur vorläufige Sicherheiten gibt.
Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) wies etwa darauf hin, dass die Absicht, das eigene Leben zu beenden, zumeist aus der Situation von Verzweiflung, Einsamkeit und Leid komme, kurz aus dem Wunsch, nicht mehr "so" weiterleben zu wollen. Entsprechend schwankend sei das Ansinnen. Deshalb unterstützt sie auch den Antrag der Gruppe um Castellucci, der eine bessere Vorbeugung verlangt.
Gerade in der Suizid-Vorsorge sehen die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie sowie viele weitere Organisationen aber die eigentliche Priorität. Für die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) und den Deutschen Hospiz- und Palliativverband (DHPV) ist ein Antrag deshalb auch zu unverbindlich.
Sie fordern ein Gesetz und haben dazu bereits detaillierte Vorschläge erarbeitet. Die nun angestrebte formale Regelung der Beihilfe zum Suizid führt nach ihrer Überzeugung eher zu einem Anstieg der Selbsttötungen. Dabei verweisen sie auf die Entwicklung in den Niederlanden, der Schweiz oder Belgien.
Die katholischen Bischöfe drängen wiederum darauf, Einrichtungen wie Krankenhäusern und oder Pflegeheimen das Recht zu geben, Beihilfe zur Selbsttötung in ihren Räumlichkeiten auszuschließen; nicht um Suizidwünsche zu tabuisieren, sondern um angemessen zu helfen. In der Praxis zeige sich, "welch große Rolle hier eine gute Suizidprävention und ein dem Leben zugewandtes Gesamtklima spielen".
Nach der Sommerpause will der Bundestag Anhörungen durchführen. Im Oktober könnte dann die Entscheidung fallen. Vielleicht findet sich bis dahin eine Parlamentariergruppe für ein Präventionsgesetz. (Christoph Scholz/kna/24.06.2022)