In Nigeria werden Priester zunehmend Opfer von Entführungen

Gewalt beherrscht den Alltag

In Nigeria gehören Anschläge, Überfälle und Entführungen mittlerweile zum Alltag. Längst sind nicht mehr nur der muslimisch geprägte Norden und das ölreiche Nigerdelta betroffen, sondern der komplette Riesenstaat.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Angriff auf katholische Kirche im Süden Nigerias / © Rahaman A Yusuf/AP (dpa)
Angriff auf katholische Kirche im Süden Nigerias / © Rahaman A Yusuf/AP ( dpa )

Die Schulen in Nigerias Hauptstadt Abuja sowie im angrenzenden Bundesstaat Nasarawa bleiben zurzeit dicht. Angeordnet hat das die Regierung vor dem Hintergrund von möglichen Entführungen und Angriffen auf Bildungseinrichtungen. Seit knapp zwei Jahren haben Überfälle von Schulen in Afrikas Riesenstaat mit 220 Millionen Einwohnern stark zugenommen. Es wird geschätzt, dass mindestens 2.000 Schüler und Studierende vor allem im Nordwesten des Landes verschleppt wurden. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.

In den vergangenen Jahren hatte die Terrorgruppe Boko Haram mit spektakulären Entführungen in Nigeria weltweit Entsetzen ausgelöst. Noch immer sind gut 100 Schülerinnen aus Chibok verschwunden, die 2014 verschleppt wurden. Zwei von ihnen wurden erst kürzlich vom nigerianischen Militär entdeckt.

Erzbischof: "Wir leben schon in Angst"

Dass nun sogar die Hauptstadt ins Visier von Terroristen rückt, ist neu. Seit 2011 hatte es zwar auch dort vereinzelt Angriffe gegeben, dennoch galt die Stadt lange als einigermaßen sicher. Ende Juli wurde nördlich von Abuja die Präsidentengarde während einer Patrouille überfallen, sechs Soldaten starben. Die Gegend war allerdings schon zuvor für Überfälle von Banditen berüchtigt.

Anfang des Monats gelang der Terrorgruppe Islamischer Staat in der Westafrikanischen Provinz (ISWAP) der Überfall auf ein Gefängnis am Rande der Hauptstadt, bei dem knapp 900 Gefangene fliehen konnten. Einen Tag später war nur knapp die Hälfte der Geflohenen gefasst worden. Gefängnisausbrüche haben seit dem vergangenen Jahr stark zugenommen und zeigen, wie einflussreich Terrorgruppen sind und wie leicht sie offenbar Sicherheitspersonal überwältigen können.

"Wir leben schon in Angst. Die Menschen können nicht mehr frei reisen", betonte der Erzbischof von Abuja, Ignatius Kaigama, Mitte Juli in einem Interview. In den vergangenen Jahren hatten er wie auch andere Bischöfe die schwere Sicherheitskrise zunehmend kritisiert und die Regierung unter Präsident Muhammadu Buhari wiederholt dazu aufgefordert, mehr für den Schutz der Bevölkerung zu tun. Seit dem Amtsantritt Buharis im Mai 2015 hat sich die Unsicherheit im Land verstärkt, obwohl er die Bekämpfung von Terrorgruppen einst als sein wichtigstes Ziel bezeichnete. Bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr tritt er nicht mehr an, weil die Verfassung kein weiteres Mandat zulässt.

Der "Nigeria Security Tracker" vom US-amerikanischen Council on Foreign Relations (CFR) listet allein für die dritte Juliwoche 22 Vorfälle auf. Meist handelt es sich um Entführungen. Es wird geschätzt, dass Dutzende Menschen starben.

Entsetzen über Angriff auf Kirche

Unter den Opfern sind zunehmend auch Geistliche. Im Juni und Juli wurden im Bundesstaat Kaduna, der aufgrund ethnischer und religiöser Spannungen seit Jahrzehnten als instabil gilt, sowie im Bundesstaat Edo mehrere Priester entführt. Drei starben. Für Entsetzen im ganzen Land hatte an Pfingsten der Angriff auf eine katholische Kirche in Owo im Südwesten geführt, bei dem mehr als 40 Menschen getötet wurden. Die Ermittlungen laufen noch, da der Anschlag als völlig untypisch gilt. Christen sind in der Region in der Mehrheit und Terrorgruppen weniger gut vernetzt als in Nord- oder Zentralnigeria.

Nach Informationen des International Center for Investigative Reporting (ICIR) mit Sitz in Abuja sind zwischen Januar 2021 bis Juni 2022 insgesamt 244 Menschen in Kirchen getötet worden. Insgesamt habe es 65 Angriffe gegeben. Auch Moscheen wurden zum Ziel von Anschlägen, wenn auch in diesem Zeitraum weniger häufig. Gezählt wurden insgesamt zwölf, bei denen 45 Personen getötet wurden. Gerade bei Überfällen auf Schüler und Reisende wird hingegen kein Unterschied gemacht, welcher Religion die Opfer angehören.

Quelle:
KNA