DOMRADIO.DE: Sie sind mit einigen anderen verhaftet worden und schnell aus dem Polizeigewahrsam wieder entlassen worden. Wie würden Sie den Erfolg der Aktion bewerten?
Jörg Alt SJ (Jesuit und Pfarrer aus Nürnberg): Nun, wir wollten eine unignorierbare Störung inszenieren, um auf die Politikdefizite bei der Verkehrswende aufmerksam zu machen. Und das ist uns mehr als gelungen.
DOMRADIO.DE: Warum denn jetzt gerade die armen Autofahrer? Die sind ja unterwegs zur Arbeit oder wollen beispielsweise die Oma besuchen oder gehen einkaufen.
Alt: Die Stelle, die wir gewählt haben, war ausdrücklich so gewählt, dass nur der Autoverkehr gestört wird, aber nicht der öffentliche Personennahverkehr. Also Busse, Bahnen, Züge und U-Bahnen waren von unserer Blockade nicht betroffen. Und damit wollten wir aufmerksam darauf machen, dass das Problem der Zukunft ja nicht darin liegt, ob wir Elektroautos, Wasserstoffautos oder E-Fuels haben, sondern dass Autos das Problem sind, dass wir uns das einfach nicht mehr leisten können. Wir haben eine Woche vorher die Aktion angekündigt und haben empfohlen, dass man in dieser Woche mit einer Störung rechnen muss. Und wer da nicht gefangen werden will, der sollte bitte den öffentlichen Personennahverkehr benutzen, der sich gar nicht daran gehalten hat, hat in der Tat Pech gehabt.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist ja das Auto nun einmal des Deutschen liebstes Kind. Gibt es Dinge, die man sehr kurzfristig umsetzen könnte, um die Abgas-Verschmutzung zu reduzieren?
Alt: Aber selbstverständlich: ein Tempolimit und auch autofreie Sonntage, also Dinge, die die FDP nicht möchte.
DOMRADIO.DE: Mit welcher Art von Kleber haben Sie sich da an den Asphalt geklebt?
Alt: Der berühmte Sekundenkleber, den ich mir selber gekauft habe. Das war ziemlich dumm gewesen. Als mir ein Feuerwehrmann dann auch auf die Hand getreten ist, habe ich reflexartig die Hand weggezogen. Da ging der Kleber ab, da habe ich Glück gehabt. Aber beim zweiten Mal habe ich mich dann mit dem Kleber angeklebt, den auch die Aktivisten dabei haben. Und der hielt bombenfest.
DOMRADIO.DE: Wenn ich mir jetzt so vorstelle, ich klebe irgendwas zusammen mit Sekundenkleber, habe ich immer wahnsinnige Angst, dass mir zwei Finger aneinander aus Versehen hängen bleiben. Haben Sie denn da keine Angst gehabt, sich zu verletzen?
Alt: Der Punkt ist ja, die Störung soll unignorierbar sein. Und eine Störung, die nicht stört, ist keine Störung. Und wenn man sich nicht festklebt, hat die Polizei natürlich ein relativ leichtes Spiel, einen von der Straße wegzutragen. Aber dadurch, dass man sich eben festklebt, ist das Ganze doch deutlich komplizierter. Bis dann das Lösungsmittel besorgt ist, bis die Ambulanz besorgt ist, bis die Leute besorgt sind, die einen von der Straße lösen können. Ja, so klappt das ja auch. Alles andere würde ja keinen aufregen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, es ist eine größere Aktion der Rettungskräfte. Es geht da keiner hin und natürlich nicht in unserem Land und reißt ihre Hand vom Asphalt einfach weg.
Alt: Nein, wir haben wirklich das ganz große Glück, in einem Land zu leben, wo die Polizei und auch gestern die Demonstranten sehr respektvoll miteinander umgegangen sind. Das hat man auch der Polizei wieder deutlich angemerkt, genau wie bei meinem Lebensmittel-Diebstahl, dass die Polizei insgeheim dann doch die Aktion ja irgendwie nachvollziehbar und gut findet. Und das ist wirklich etwas, wo wir dankbar sind. Aber genau das ist auch der Punkt, der uns verpflichtet. Man kann schlecht sagen, die Chinesen sollen ihre Regierung blockieren. Ich denke, wir müssen einfach in den Ländern der freien Welt Akzente setzen, wo dann eine chinesische Führung, die ja auch daran interessiert ist, dass ihre Wirtschaft funktioniert, irgendwann nicht mehr anders kann als nachzuziehen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie Bedenken, ob Straßenblockaden ein geeignetes Mittel des gesellschaftlichen Dialoges sind?
Alt: Ich habe ja am Anfang mit meinen Freundinnen und Freunden genau über diese Frage auch lange diskutiert. Und ich habe auch gesagt: "Leute, die Nachteile sind größer als die Vorteile". Aber dann haben wir gesagt: "Nein, wir müssen einfach eine Protestform finden, die vorwegnimmt, was der Klimawandel bewirken wird und die einfach eine Störung verursacht, die klein ist im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt". Und ich muss sagen, wir haben Recht behalten. Das heißt, seit Autobahnen blockiert werden, ist das Thema wieder in der Diskussion. Ich glaube, wir haben im Moment wieder ein Bewusstseinslevel erreicht, das wir zuletzt hatten, als die "Fridays" den Schulunterricht boykottiert haben, was im Übrigen ja auch ziviler Ungehorsam gewesen ist.
Also wir brauchen einfach Formate, die unübersehbar sind und die Leute aufregen. Genau dann wird man, denke ich, doch am Abendbrottisch darüber diskutieren. Warum macht jemand so was Idiotisches? Gibt es da keine Alternativen? Ich sage: Nein, die wurden alle vergeblich versucht. Und dann sollte man mal darüber nachdenken, warum das so dringend ist, dass wir uns auf einmal nicht mehr darauf beschränken können, vor der FDP-Zentrale mal eine Mahnwache machen zu können? Weil, wir haben nur noch drei Jahre.
DOMRADIO.DE: Jetzt wird beim Abendessen wahrscheinlich nicht nur über Ihre Aktion diskutiert. Es wird auch diskutiert, dass viele Menschen Befürchtungen haben, dass sich Klimaaktivisten weiter radikalisieren und sich auch in eine terroristische Richtung entwickeln könnten. Auch Innenministerin Nancy Faser (SPD) sieht diese Gefahr und möchte jetzt die Bundespolizei entsprechend aufstocken. Wie sehen Sie das?
Alt: Das ist eine ganz einfache Reaktion auf eine vorhergehende Handlungsverweigerung. Und wenn die Bundesregierung weiter ihre Füße schleifen lässt, dann wird es natürlich weitergehen. Ich sage ja auch immer, wenn die FDP nicht blockieren würde, würde ich auch nicht auf die Straße blockieren gehen. Wenn die Politik endlich ins Handeln kommt, dann bin ich zufrieden. Genau das will ich erreichen. Aber mir ist im Moment das Überleben der Menschheit wichtiger als eine Strafaktion.
DOMRADIO.DE: Selbst wenn die Bundesregierung eine Radikalisierung von Klimagegnern befürchtet, beteiligen Sie sich also als Pfarrer trotzdem an solchen umstrittenen Aktionen und sagen: Ist dann so, man muss radikaler werden?
Alt: Ja, aber Sie werden ja wohl bemerkt haben, dass diese Aktion gestern absolut gewaltfrei war. Und ich arbeite mit einer radikalen Gruppe zusammen, ja, aber ich arbeite mit einer Gruppe zusammen, die die Gewaltfreiheit als Aktionskonsens hat. Und jeder, der gesehen hat, wie diszipliniert ich und meine Freundinnen und Freunde vorgehen, weiß, dass da ein ganz großer Unterschied ist zu der grünen RAF, die von anderen propagiert werden, die ich natürlich auch ablehne.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.