Mit einer Einführungswoche und dem Eröffnungsgottesdienst in der Benediktinerabtei Dormitio hat das 49. Theologische Studienjahr in Jerusalem für deutschsprachige Theologiestudierende begonnen.
"Wir setzen auf eine Integration in die hiesige Welt und eine Öffnung für die verschiedenen Gesellschaften vor Ort", sagt Professorin Johanna Erzberger, seit 2019 Dekanin des Studienjahres und Inhaberin des Laurentius-Klein-Lehrstuhls. Neben dem akademischen Lernen sollen die 20 katholischen und evangelischen Studierenden aus Deutschland und Österreich das Land in allen Facetten kennenlernen.
Theologisches Studienjahr in Jerusalem
Seit Gründung des Studienjahres 1973 durch den damaligen Abt Laurentius Klein haben über 1.000 Studierende das Studienhaus Beit Josef der Benediktinerabtei auf dem Zionsberg bezogen. Erzberger setzt dabei auf eine Kooperation mit einheimischen Einrichtungen, seien es die Universitäten von Tel Aviv und Jerusalem oder von Bethlehem und Birzeit in den besetzten palästinensischen Gebieten.
Erzberger: "Eine direkte Kooperation zwischen israelischen und palästinensischen Hochschulen ist unter den aktuellen politischen Gegebenheiten faktisch unmöglich. Wir als nichtisraelische und nichtpalästinensische Organisation können die Zusammenarbeit mit beiden Seiten pflegen und sind gerade deshalb interessant. Umgekehrt haben unsere Studierenden die einmalige Möglichkeit, beide Seiten hautnah kennenzulernen."
Den Anfang dieser Horizonterweiterung macht eine Realität, der Touristen höchstens zufällig begegnen und um die die meisten Israelis gern einen Bogen machen: "Atmet die Atmosphäre ein", sagt Nikodemus Schnabel. "Dies ist nicht das Tel Aviv der Surfer und Cocktails, das ist das Tel Aviv, das keiner kennen will."
Einen Kilometer vom Tel Aviver Bahnhof "HaHaganah" liegt das Ziel des Benediktinerpaters, seit rund einem Jahr als Patriarchalvikar mit der katholischen Migrantenseelsorge im Heiligen Land betraut: das Seelsorgezentrum "Unsere Liebe Frau der Tapferkeit" des Vikariats für Migranten und Asylsuchende.
Migrantengemeinde des Lateinischen Patriarchats
Zu Fuß geht es vorbei am zentralen Busbahnhof, berüchtigt für sein heruntergekommenes Labyrinth, das vielen zum Lebensraum wurde, die sich die teure Stadt sonst nicht leisten können. Nahe bei liegen der zu morgendlicher Stunde verwaiste Straßenstrich und die ehemaligen Arbeiterviertel Neve Scha'anan und Schapira. Viele von Schnabels Gläubigen leben hier, dem ärmsten und vermutlich kosmopolitischsten Teil der Stadt.
"Zahlenmäßig der Elefant" sei die Migrantengemeinde unter den sechs Vikariaten des Lateinischen Patriarchats, berichtet Schnabel, als Delegat der Päpstlichen Benediktinerhochschule Sant'Anselmo in Rom Teil der Studienjahrsleitung. Mindestens 80.000 katholische Migranten und Asylsuchende gebe es im Land, sagt Schnabels Chef, der Lateinische Patriarch Erzbischof Pierbattista Pizzaballa. Wohl eher 100.000, glaubt Schnabel. Die meisten von ihnen gälten als Wirtschaftsflüchtlinge, und bei denen höre auch "bei Israelis die Sympathie auf".
Arbeit am Rand der Gesellschaft
Das Arbeitsfeld ist komplex, erfahren die Studierenden von Schnabel und den philippinischen und srilankischen Ordensleuten vor Ort über die Arbeit am Rand der israelischen Gesellschaft. Tragische Geschichten, mafiöse Strukturen bei Arbeitgebern und prekäre Lebensbedingungen stellen die Kirche vor Herausforderungen, vor allem da, wo es um Kinder und Jugendliche geht. "Die Kinder wachsen in Umständen auf, in denen sie von allen Seiten erfahren: Du gehörst nicht dazu. Sie erleben sich als Problem", sagt Schnabel. "Wir versuchen ihnen zu zeigen, dass ihnen die Welt gehört, eine globalisierte Welt, in der nicht die Herkunft, sondern Kompetenzen zählen - und unterstützen sie hierbei konkret."
Der Besuch in Süd-Tel Aviv und im Seelsorgezentrum ist ein Steinchen im größer werdenden Erfahrungsmosaik der Studierenden. "Über vieles, von dem ich heute gehört habe, habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, und manches ist sehr schockierend", formuliert es die Paderborner Studentin Laura Hennicke. Gerade die Begegnungen und das Gespräch mit verschiedenen Gruppen erarte sie sich vom Studienjahr in Jerusalem: die Gesellschaft in ihrer Breite kennenlernen und dabei als großes Ganzes sehen, "aber im Detail, damit das Bild nicht verschwimmt". Kommilitone Markus Böck aus München stimmt ihr zu. "Der direkte Kontakt zu Land und Leuten ist sehr wichtig, sonst hätte ich auch in Deutschland bleiben können."