DOMRADIO.DE: Frau Lexel, Sie sind hier für die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz. Was machen Sie auf der Gamescom genau?
Sonja Lexel (Referat Jugendpastorale Bildung bei der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj)): Ich bin zuständig für das Referat Jugendpastorale Bildung bei der Arbeitsstelle für Jugend Seelsorge, habe dort einen ganz vielfältigen Themenbereich und unter anderem gehört in meinem Themenbereich auch das Thema Digitales. Da geht es um die Fragen: Wie bewegen sich Jugendliche in digitalen Welten? Wie bewegt sich Kirche da? Und wie passt das zusammen?
Ein persönlicher Schwerpunkt in diesem digitalen Bereich ist der Gaming-Bereich. Ich bin selbst passionierte Gamerin und bringe das Thema mit in meinen Arbeitsbereich rein, weil ich einfach sensibilisieren will, wie wichtig der große Bereich Gaming ist. Das ist ein Kulturbereich, der von der Kirche noch gar nicht so wahrgenommen wird. Und es ist höchste Zeit, dass Kirche sich damit beschäftigt.
DOMRADIO.DE: In den letzten zwei Jahren haben Jugendliche durch die Pandemie wahrscheinlich auch das Digitale noch mehr nutzen müssen. Wie wachsen Jugendliche heute mit dem Digitalen auf, auch mit dem digitalen Spielen?
Lexel: Digitale Lebenswelten sind eigentlich ganz normal für Jugendliche. Jugendliche unterscheiden gar nicht mehr zwischen on- und offline, sondern sind eigentlich permanent online. Das Smartphone ist ein alltäglicher Begleiter. Man hat darauf sein Fahrticket, man hat seinen Kalender drauf, man organisiert eigentlich sein ganzes Leben mit dem Smartphone.
So ist auch der Gaming-Bereich ein ganz großer Bereich. Gerade die neuen Jugendstudien zeigen, dass fast 90 Prozent der Jugendlichen digitale Spiele spielen, sei es regelmäßig oder unregelmäßig. Dabei ist das Smartphone auch das Gerät der Wahl, wenn es um digitale Spiele geht und aus der Lebenswelt Jugendlicher nicht mehr wegzudenken.
DOMRADIO.DE: Wie kann die Kirche den Jugendlichen da auf Augenhöhe begegnen?
Lexel: Ich glaube, dass gerade Gaming ein Bereich ist, wo man super anknüpfen könnte, weil Games so vielfältig sind und so viele Themen umfassen. Es geht da um Sieg und Niederlage, es geht um Tod und Auferstehung, aber auch um so soziale Sachen wie Gemeinschaft, also das Spielen in Gemeinschaft.
Ich glaube, dass es viele Anknüpfungspunkte gibt, wo Kirche sagen könnte: Das ist auch ein Thema bei uns, und das wäre ein Punkt, wo wir mit Jugendlichen ins Gespräch kommen können.
DOMRADIO.DE: Wie stellt sich Kirche da an? Ich sehe auf der Gamescom nicht sehr viele Aussteller von der Kirche.
Lexel: Genau. Leider hat die Kirche die Gamescom noch nicht für sich entdeckt. Aber es gibt tatsächlich kleinere Aufbrüche. Ich nehme das gerade in den letzten Jahren wahr, dass sich immer mehr Leute damit beschäftigen im kirchlichen Bereich, auch wenn es noch wirklich ein Nischenthema ist. Es wird aber langsam größer. Langsam ernährt sich das Eichhörnchen.
Wir hatten jetzt auf dem Katholikentag erstmalig in der Lebenswelt Jugend einen Gaming-Bereich mit zwei gut ausgestatteten Räumen, wo die Jugendlichen während des Katholikentags hinkommen konnten und zocken konnten. Da hat sich das Katholikentagsbüro sehr für eingesetzt, dass das umgesetzt wird, um eben Kirche mit dieser Jugendkultur auch zu verknüpfen.
DOMRADIO.DE: Ich habe manchmal das Gefühl, Kirche lässt sich auf diese Jugendkultur nicht so richtig ein, sondern es gibt immer das Vorurteil, die bewegen sich nicht, also machen wir ein Bewegungsangebot. Erreicht man so die Menschen?
Lexel: Kirche muss sich darauf einlassen, um am Puls der Zeit zu sein und um Jugendlichen in ihrer heutigen Lebenswelt auch gerecht zu werden. Natürlich gibt es viele andere gute Angebote und ich glaube, Gaming kann auch nur ein Zugang von vielen sein, aber es ist ein Zugang, den man wirklich nicht außer Acht lassen darf.
DOMRADIO.DE: Viele Jugendliche fühlten sich in der Zeit der Pandemie alleingelassen – gerade in der Zeit des Lockdowns. Wie können Jugendliche da ihre Stimme besser hörbar machen?
Lexel: Ich glaube, dass gerade digitale Möglichkeiten viele Chancen zur Teilhabe geben. Fast jeder hat einen Zugang zu einem internetfähigen Gerät. So kann sich irgendwie jeder einbringen. Die Kirche muss aber noch entdecken, wie man da Möglichkeiten schafft, auch digital Stimmen einzuholen. In der Pandemie haben wir gemerkt, da ist erst einmal ganz viel eingeschlafen. Viele haben zwar digital versucht, Sachen umzusetzen, aber bei einigen hatte man auch den Eindruck, die sind erst mal abgetaucht und tauchen jetzt so langsam wieder auf und gucken, wie sie ihre Angebote von vor zwei Jahren jetzt wieder gestalten können.
Ich glaube aber, dass man aus diesem Digitalen etwas mitnehmen muss, was wir in den letzten zwei Jahren ja wirklich viel praktiziert haben. Gerade auch Elemente aus dem Gaming-Bereich. Da wurde Seelsorge über "Discord", was eigentlich ein Gaming-Sprachchat ist, betrieben. Twitch.tv, eigentlich eine Streaming-Plattform für Gaming, wurde in ganz vielen Kontexten eingesetzt, um auch Gottesdienste zu streamen und solche Sachen.
Ich glaube, dass wir das jetzt nicht verlieren dürfen. Wir dürfen nicht sagen: Jetzt neigt sich die Pandemie so langsam dem Ende – wenn es überhaupt so ist, dass wir jetzt wieder zum Alten von vor zwei Jahren zurückkehren. Wir müssen wirklich gucken, was wir auch aus diesen zwei sehr digitalen Jahr lernen können. Und es gilt zu fragen, wie wir Jugendliche eben auch beteiligen können in Kirche – und das auch digital.
DOMRADIO.DE: Ältere Semester tun sich manchmal schwer mit Inhalten von Computerspielen. Ego-Shooter oder Kriegsspiele wirken da auf einige gewaltverherrlichend. Inwiefern findet auch in der Gaming-Szene eine ethische Debatte statt?
Lexel: Die findet auf jeden Fall auch statt. Und man muss sagen, dass gerade dieses Ego-Shooter-Genre ja nur ein kleiner Ausschnitt von Gaming ist. Wir haben eine ganz breite Palette an Themenvielfalt, die da auch vorkommt. Und ich finde es schwierig, wenn man das immer quasi auf Ego-Shooter begrenzt, weil das ist es einfach nicht. Es gibt ganz viele Strategiespiele und Simulationen.
Beim Gamescom-Kongress heute geht es auch um Gesundheit und Gaming, also darum, wie Games auch in der Gesundheitsbranche eingesetzt werden, um da Sachen weiterzuentwickeln und um Leute, die beispielsweise einen schweren Unfall hatten, irgendwie wieder zu trainieren und wieder ins Leben zu bringen. Wenn man nur auf diese Ego-Shooter-Debatte blickt, dann ist es einfach verkürzt. Wir müssen es viel weiterdenken und mal offen sein für die Themen, die da noch überall mitschwingen.
Das Interview führte Alexander Foxius.