Was die Kardinäle in Rom zu besprechen haben

Großes Kennenlernen vor nächster Papstwahl?

Papst Franziskus hat knapp 200 Kardinäle in den Vatikan gerufen, um mit ihnen über wichtige Angelegenheiten der Weltkirche zu sprechen. Darunter sind auch die frisch kreierten Würdenträger. Verfolgt der Papst hier eine bestimmte Idee?

Papst Franziskus und Kardinäle bei der Kardinalsversammlung am 29. August 2022 im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus und Kardinäle bei der Kardinalsversammlung am 29. August 2022 im Vatikan / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es ist ein großes Kardinalstreffen im Vatikan. Ist das so eine Art "Gipfeltreffen" der Kardinäle?

Gudrun Sailer / © privat
Gudrun Sailer / © privat

Gudrun Sailer (Vatican News): Ja, das könnte man sagen. Es ist wie bei einem sogenannten außerordentlichen Konsistorium. Auch wenn das nicht als solches angekündigt ist, sondern einfach als Kardinalsversammlung, treffen heute und morgen alle Kardinäle der Weltkirche im Vatikan zusammen. Das hat es unter Franziskus in dieser Form in fast zehn Jahren Pontifikat noch nie gegeben.

197 von 226 Kardinälen, die es zurzeit weltweit überhaupt gibt, nehmen teil. Viele hatten eine lange Anreise. Eine Altersgrenze gibt es übrigens, anders als bei einer Papstwahl, an der nur Kardinäle vor ihrem 80. Geburtstag teilnehmen dürfen, bei dieser Kardinalsversammlung nicht. Zu diesem Kardinalstreffen im Vatikan kommen alle, die fit genug sind. Das hängt damit zusammen, dass Kardinäle die wichtigsten Weltkirche-Berater des Papstes sind. Das ist zumindest die Idee, die dahinter steckt. Und guter Rat kennt kein Alter.

DOMRADIO.DE: Was sind am diesem Montag und Dienstag die großen Themen?

Sailer: Das eine große Thema ist die Kurienreform. Das hat der Papst selbst angekündigt. Das Grundlagendokument, die apostolische Konstitution "Praedicate Evangelium" ist zu Pfingsten in Kraft getreten, neun Jahre nach den ersten Beratungen dazu. Das hat so lange gedauert. Nun könnte man einwenden, dass die Organisation der römischen Kurie doch eher ein lokales Thema sei. Denn das betrifft die Arbeitsweise hier im Vatikan. Ist damit der Aufwand von fast 200 reisenden Kardinälen gerechtfertigt?

Aber die Kurienreform von Franziskus ist groß angelegt, sozusagen auf das Weltkirchliche. Es geht dem Papst darum, wie die Kirche besser ihrem Grundauftrag, nämlich der Evangelisierung ausgehend von der Kurie, nachkommen kann. Da ist ein Austausch wichtig. Das Thema Evangelisierung, also Verkündigung der frohen Botschaft, ist zentral. Darüber kann man in Zeiten wie diesen gar nicht oft genug reden. Das rechtfertigt aus Sicht von Papst Franziskus, der ja sonst sparsam ist, diesen Aufwand.

DOMRADIO.DE: 197 Kardinäle sind anwesend. Wie gut kennen sich die Kardinäle denn eigentlich untereinander?

Kardinal Tarcisio Bertone (sitzend) nimmt mit weiteren Kardinälen am Konsistorium im Petersdom teil / © Andrew Medichini (dpa)
Kardinal Tarcisio Bertone (sitzend) nimmt mit weiteren Kardinälen am Konsistorium im Petersdom teil / © Andrew Medichini ( dpa )

Sailer: Das ist ein wichtiger Punkt. Viele Kardinäle kennen einander fast gar nicht. Vor allem die von Franziskus aus entlegenen Teilen der Welt ernannten Kardinäle, in denen es noch nie einen Kardinal gab, wie der Mongolei, den Kapverdischen Inseln, Tonga und anderen mehr, kennen einander nicht. Sie kennen einander deshalb nicht, weil Kardinalsversammlungen wie diese schon lange nicht mehr stattgefunden haben.

Es ist aber entschieden ein Vorteil, wenn sich Kardinäle untereinander kennen und eine Vertrauensbasis miteinander haben, wenn man dann eines Tages gemeinsam einen neuen Papst wählen wird. Auch dieses Kennenlernen ist ein Grund dafür, dass dieses große, feierliche Treffen im Vatikan stattfindet. Viele Kardinäle sind schon zum Kardinalskonsistorium am Samstag angereist. Sie haben also alles in allem vier, fünf Tage Zeit, um "Socialising" zu betreiben, sich kennenzulernen und sich auszutauschen.

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche steckt in vielen Ländern in einer tiefen Krise – vor allem auch wegen der Missbrauchsskandale vor Ort. Spiegelt sich das beim Kardinalstreffen?

Sailer: Man kann davon ausgehen, dass beim Konsistorium auch von der weltweiten Krise rund um sexualisierte Gewalt in der Kirche die Rede sein wird. Denn diese Krise hat der Kirche selbst viel Glaubwürdigkeit gekostet. Und das schadet der Evangelisierung massiv.

DOMRADIO.DE: Bekommt man auch etwas über die Stimmung bei den Beratungen mit?

Sailer: Darüber werden die Kardinäle sicherlich noch das eine oder andere erzählen. Jedenfalls ist der Ort der Kardinalsversammlung nicht sehr feierlich. Es ist die neue Synodenaula, ein nüchterner und unsympathischer Konferenzraum ohne Fenster, der huckepack auf der Audienzhalle sitzt. Dort finden sonst Bischofssynoden statt. Übrigens ist auch der Ablauf des Konsistoriums ganz ähnlich wie der bei einer Bischofssynode. Es gibt Vollversammlungen und Sprachzirkel und der Papst ist dabei. Und am Dienstagabend ist der feierliche Abschluss mit einer Papstmesse im Petersdom.

DOMRADIO.DE: Es wurde schon im Vorfeld viel über einen möglichen Rücktritt des Papstes spekuliert. Wäre es denkbar, dass Franziskus eine solche Entscheidung etwa zum Abschluss des Treffens verkündet?

Sailer: Das ist schwer vorstellbar. Zumal der Papst trotz seiner Gehbehinderung vital wie lange nicht mehr wirkt und auch selbst mehrfach gesagt hat, er denke derzeit nicht an einen Amtsverzicht.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Was ist ein Konsistorium?

Die Kardinäle sind die engsten Mitarbeiter und Berater des Papstes als Oberhaupt der Weltkirche. Diese Aufgabe üben sie vor allem in Konsistorien aus, von lateinisch "consistorium" für "Versammlung". Der Papst beruft diese Treffen zu besonderen Anlässen ein und leitet sie. Es gibt ordentliche und außerordentliche Konsistorien.

Birette, rote viereckige Hüte für neu ernannte Kardinäle / © Romano Sicilian (KNA)
Birette, rote viereckige Hüte für neu ernannte Kardinäle / © Romano Sicilian ( KNA )
Quelle:
DR