Die Seele baumeln lassen im Hier und Jetzt – ein paradiesisches Gefühl. Um diesen Moment geht es der amerikanischen Künstlerin Roni Horn in ihrem Bild "Making being here enough" (Dafür sorgen, dass hier zu sein genügt).
Für einen Moment geht das, aber schon werden wir eingeholt von Gedanken und Erinnerungen. In der neuen Jahresausstellung des erzbischöflichen Kunstmuseums Kolumba geht es um die existenzielle Frage, welche Rolle besondere Orte spielen, die uns Menschen innehalten lassen und identitätsstiftend sind. Und wie erlangen Orte ihre besondere Bedeutung?
Mit dem leeren Grab Jesu fing alles an
Von heilsgeschichtlicher Bedeutung für die Christen ist das leere Grab Jesu in Jerusalem. "Es ist sehr wahrscheinlich ein fiktiver Ort", sagt Kuratorin Dr. Ulrike Surmann, "erst mit der Machtergreifung des christlichen Königs Konstantin im 4. Jahrhundert fing man an, das leere Grab Jesu zu suchen und baute eine Kirche über den Ort, der aufgrund von Überlieferungen das Grab Jesu war."
So wurde ein Ort markiert, der bis heute von Pilgern besucht und verehrt wird. Auch Rom erhielt seine Bedeutung durch seine Märtyrergräber. "Die Rückbindung an Gott (religio) und die heilsgeschichtliche Bedeutung von Jerusalem und Rom wurden durch Gegenstände mit ihren besonderen Geschichten legitimiert", so Surmann. In der Ausstellung geben Reliquiare, liturgische Gegenstände, Messbücher, Epitaphe, Pilgersouvenirs oder Gnadenbilder aus ganz Europa Zeugnis davon, wie Orte und Gegenstände auch außerhalb von Rom und Jerusalem feste Bezugspunkte für den Glauben der Menschen wurden.
Identifikationsorte in unserer Zeit
Wir leben in einer Zeit, wo christliche Traditionen mit ihren sinnstiftenden Bezugspunkten an Bedeutung verlieren. Doch das Bedürfnis nach Haltepunkten im rasanten Wandel der Zeit bleibt. Im Hof vom Kunstmuseum Kolumba ist zwischen den Bäumen ein rot lackierter Stab in den Boden gerammt. Der Künstler Lutz Fritsch nennt diese Skulptur "An Ort und Stelle".
Stefan Kraus sieht in ihr eine Akupunkturnadel, die uns zu einer Standortbestimmung aufruft: "Wo bin ich? Was mache ich hier eigentlich? Ich glaube, wir müssen immer mehr nach diesen identifizierenden Faktoren fragen." Die Ausstellung in Kolumba thematisiert auch Fritschs "Bibliothek auf Eis" mit einer symbolischen Frachtkiste. Der Künstler brachte insgesamt 600 Bücher in einem grünen Container zur Alfred-Wegener-Forschungsstation in die Antarktis, die die Überwinterer unbedingt gelesen haben sollten. Er wollte mit dieser Kunstaktion im ewigen Eis einen "Sehnsuchtsort" schaffen.
Sehr beeindruckend ist die Installation des Performancekünstlers Terry Fox "Site Pendulum". Von der zehn Meter hohen Decke hängt eine Bleikugel an einer Klaviersaite von der Decke. Sie schwingt eineinhalb Stunden lang in immer engeren Abständen um ein zu zwei Drittel gefülltes Wasserglas. Am Ende wartet auf die Besucher eine physikalische Überraschung. Diese Installation ist eine intensive meditative Beschäftigung mit dem Thema Innehalten, sich Zeit nehmen, im Hier und jetzt versinken. Und zu verstehen, dass die Uhr tickt.
Kunst mit gesellschaftspolitischer Wirkung
Sich mehr als vier Jahre Zeit genommen hat der französische Künstler Eric Beaudelaire mit Jugendlichen aus einem sozialen Brennpunkt bei Paris für ein Filmprojekt. Sie wurden motiviert, mit der Kamera in der Hand ihre Themen selbst zu finden und zu filmen. Eine Fahne von Beaudelaire soll ab Oktober das Kolumba-Museum verlassen und in den nächsten Monaten in Kölner Schulen hängen, um gesellschaftspolitische Diskussionen anregen. "Es ist mir wichtig," so Kraus, "dass wir mit unserer Kunst auch in die Gesellschaft herausgehen."
Der riesige geschwungene rote Schriftzug "Liebe deine Stadt" des Grazer Konzeptkünstlers Merlin Bauer über der Nord-Süd-Fahrt wurde im selbstverliebten Köln Kult. Bauer aber wollte mahnend auf die unzähligen Architektursünden in dieser Stadt hinweisen. Jetzt steht die monumentale Skulptur bis zum Ende von Sanierungsarbeiten im großen Raum 13 von Kolumba – im Dialog mit dem barocken Gemälde "Der Kölner Heiligenhimmel" (1635) von Johan Hulsmann und Johann Toussyn. Für Stefan Kraus ist sie eine Herausforderung für die Stadtgesellschaft, sich zu fragen: "Wer ist diese Stadt? Wer bestimmt über sie? Wohin soll sie sich entwickeln?".
Kolumba als identitätsstiftender Ort
Im September 2022 wird das Kolumba-Museum 15 Jahre alt. Es wurde errichtet auf historischem Grund, der ständigem Wandel unterworfen war – aber immer eine identifikationsstiftende Bedeutung hatte.
Über ein römisches Stadtviertel wurde die älteste Pfarrkirche Kölns gebaut. Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde in der Ruine eine moderne Kapelle errichtet, die seit 2007 mit dem heutigen Museum verbunden ist. Das Motto der diesjährigen Jahresausstellung, "Dafür sorgen, dass hier zu sein genügt", ist für das Museum Programm, sagt Stefan Kraus: "Kolumba soll ein Ort sein, der Identifikation und inneren Frieden stiftet, auch weil er ein Ort ist, in dem Menschen mit unterschiedlichen Meinungen ins Gespräch kommen können."