Im Sport werden einer Studie zufolge nur die wenigsten Fälle von sexueller Gewalt und Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufgedeckt und aufgearbeitet. Stattdessen erlebten Betroffene häufig, dass ihre Erfahrungen negiert, bagatellisiert und verschleiert werden, wie aus einer Untersuchung im Auftrag der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hervorgeht, die am Dienstag in Berlin präsentiert wurde. Die Schilderungen seien erschütternd, sagte Bettina Rulofs, die leitende Autorin der Studie. "Es geht in den meisten Berichten um schwere körperliche sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen von Erwachsenen gegen Kinder und Jugendliche im Sport unter Ausnutzung eines Betreuungs- oder Abhängigkeitsverhältnisses", sagte die Sportsoziologin.
Seit 2016 untersucht die Kommission Ausmaß, Art und Folgen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Grundlage der Studie sind 72 Berichte von Betroffenen sowie Zeugen und Zeuginnen. Es sei die erste detaillierte Auswertung einer so großen Anzahl von Vorfällen im Sport.
Zwei Drittel der Befragten gaben danach an, dass sie nicht nur einmal, sondern regelmäßig und teils über einen langen Zeitraum sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen seien. Etwa ein Fünftel der Personen habe über Kindesmissbrauch im Rahmen des Sports in der DDR berichtet.
Besonders im organisierten Sport tragen die Strukturen demnach dazu bei, dass Aufklärung und Aufarbeitung erschwert werden. Dazu gehöre die Fixierung auf den sportlichen Erfolg, die Abhängigkeit von ehrenamtlichen Mitarbeitenden sowie das große Machtgefälle zwischen Sportlerinnen und Sportlern und den Trainern. Auch männlich dominierte Hierarchien in Vereinen und Verbänden seien ein Faktor. Das in der Gesellschaft positive Image des Sports trage auch dazu bei, dass viele Betroffene kein Gehör fänden, weil sie diese positive Erzählung durchbrächen.
Die Tatpersonen stammen laut den Aussagen vorwiegend aus dem direkten oder nahen Umfeld und sind männliche Trainer, Betreuer oder Lehrer. Zudem hätten sich die Täter meist in machtvollen Positionen befunden. In der DDR habe besonders das spezielle Sportsystem sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ermöglicht.
Die Studie liefert nach Angaben der Kommission auch Erkenntnisse darüber, welche Erfahrungen Betroffene in den Organisationen des Sports machten, wenn sie die dort erfahrene Gewalt offenlegten. Die wenigsten Missbrauchsfälle seien aufgedeckt und aufgearbeitet worden. Stattdessen hätten Betroffene häufig erlebt, dass ihre Erfahrungen negiert, bagatellisiert und verschleiert worden seien.
Es bräuchte unabhängige Anlaufstellen für Betroffene, hieß es. Dabei wurde auch das geplante Zentrum für Safe Sport hervorgehoben, das die Vereinigung Athleten Deutschland im vergangenen Jahr angeregt hatte. An dessen Finanzierung müsse sich auch der organisierte Sport beteiligen, forderte Heiner Keupp, Mitglied der Aufarbeitungskommission.
(Quelle: dpa, kna, 27.09.2022)