DOMRADIO.DE: Sie haben viele Solidaritätskonzerte für die Ukraine gespielt. Wie geht es den Menschen in ihrer Heimatstadt Czernowitz heute?
Paul Rosner (Violinist): Meine Heimatstadt liegt ganz an der westlichen Grenze der Ukraine, neben Rumänien und Moldawien. Es wurden schon Dörfer beschossen in der Nähe von Czernowitz. Zum Glück wurden noch keine Menschen getötet und keine Häuser zerstört, aber die Menge der Menschen hat sich fast verdreifacht. Es ist ein ununterbrochener Strom von Flüchtlingen, die über Czernowitz nach Moldawien und Rumänien auswandern. Das Medizinwesen ist zusammengebrochen. Aus Amerika und Polen kamen zwei Krankenhäuser, die in Zelten aufgebaut wurden, und wir sammeln hier auch Geld für ein weiteres Krankenhaus. Es kommen auch schwer verstörte Kinder, die wochenlang in der Dunkelheit saßen und beschossen wurden und sie verstummen manchmal. Man sucht nach Psychologen, nach Psychiatern, um den bleibenden Schaden wenigstens zu begrenzen.
DOMRADIO.DE: Ihr Namensvetter Paul Celan kommt aus Czernowitz. Oder auch die große Rose Ausländer. Mögen Sie uns ein bisschen mitnehmen in diese kulturelle Blütezeit?
Rosner: Czernowitz war in der Zeit, als es zu Österreich-Ungarn gehörte, eine multinationale Stadt. Man hat in acht Sprachen gesprochen, die Sprachen waren sogar gerichtlich anerkannt. Man sprach ukrainisch, rumänisch, deutsch, ungarisch, armenisch und anderes. Es gab eine große jüdische Gemeinde und eine große ukrainische Gemeinde. Auch eine rumänische, und dann gab es kleinere Gemeinden wie die polnische, die armenische. Es gab auch Ungarn und Slowaken. In der ganzen Bukowina gab es Dörfer mit unterschiedlicher Bevölkerung. Die verschiedenen Nationalitäten haben sich kulturell sehr befruchtet. Es gab Theatervorstellungen, Musik, und man hat sich gegenseitig eingeladen. Da es Österreich-Ungarn war, war damals Deutsch die verbindende Sprache. Alle sprachen Deutsch, auch wenn sie untereinander auch andere Sprachen benutzten. In dieser Zeit gab es überhaupt keine Probleme und alles hat sehr gut funktioniert.
DOMRADIO.DE: Es gibt ein ganz berühmtes Mitglied Ihrer Familie, Ihren Onkel, den Tenor Josef Schmidt. Er hat bis kurz nach der Machtergreifung der Nazis singen können. Er war Jude, ist dann untergetaucht, nach Frankreich geflohen und dort verraten worden. Er hat es in die Schweiz versucht, ist dort aber nicht anerkannt worden, in einem Internierungslager erkrankt und an einer eigentlich leichten Krankheit gestorben. Was bedeutet Ihnen Ihr Onkel heute?
Rosner: Sehr viel. Besonders heutzutage, wo ich sehr viel mehr Aufnahmen mit ihm und seiner Musik hören kann, sehe ich, dass wir sehr wir durch unseren Beruf verbunden sind. Ich bin sehr berührt von seiner Stimme. Er singt ja auch jüdische Lieder, er singt wunderbar italienische Arien, aber auch russische Arien. Es gibt Stimmen, bei denen man wirklich Gänsehaut bekommt, wenn man sie hört. Leider habe ich ihn nicht gekannt.
DOMRADIO.DE: Ich habe Sie kennengelernt, weil Sie auch in Schulen gehen, Geige spielen und vom Holocaust erzählen. Haben Sie die Hoffnung, dass Sie die Herzen junger Menschen berühren können, wenn Sie erzählen?
Rosner: Ich bin absolut überzeugt: Jeder Einzelne, der das verstanden hat wird auch helfen, dass so etwas nicht wieder passiert. Und wenn es doch passiert, wird er etwas dagegen unternehmen. Ich habe gesehen, wie begeistert viele junge Leute nach unseren gemeinsamen Auftritten waren. Und ich denke, dass sich ein großer Teil daran erinnern wird.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass Musik letztlich alles besiegen kann?
Rosner: Das wäre sehr schön. So blauäugig bin ich natürlich nicht zu glauben, dass Musik und Kunst tatsächlich alles besiegen könnten. Aber ohne Musik und Kunst wäre das Leben schrecklich. Ich denke, dass beides eine große Rolle spielt, auch für unsere menschliche Entwicklung, dass wir ohne Kunst und ohne Musik einfach nicht vollkommene Menschen sind. Auch die schlimmsten Situationen enden irgendwann. Und dann bleiben immer noch die Kunst und die Musik, weil die Seelen sonst total zerstört wären.
Es gibt manchmal Momente, in denen spielt man nicht, sondern man wird gespielt. Man ist nur ein Medium. Woher das kommt, wage ich nicht zu sagen. Irgendwann, ohne dass man es selber will, kommen solche Momente. Man kann sie aber nicht herbeizaubern, sondern muss sehr viel arbeiten und sich gut vorbereiten.
DOMRADIO.DE: In den letzten Wochen gab es viel Streit und Ärger, den vor allem der ukrainische Botschafter Melnyk ausgedrückt hat. Manche Menschen finden, dass man in Deutschland zu wenig tut für die Ukraine. Teilen Sie diese Meinung?
Rosner: Das ist sehr schwer zu beantworten. Ich verstehe die Leute sehr gut, die beschossen werden und sich wünschen, dass jemand kommt und ihnen hilft. Ich verstehe aber auch die Haltung der Deutschen und anderer Regierungen, die es nicht zu einem Weltkrieg kommen lassen wollen. Ich finde auch, dass Deutschland mehr tun könnte, aber was manche verlangen ist leider nicht möglich. Ich verstehe beide Seiten und maße mir nicht an, hier wirklich ein Urteil fällen zu können. Natürlich möchte ich Frieden in der Ukraine, aber ich möchte auch, dass Russland befreit wird. Meine Freunde haben die größte Angst, wenn die sogenannten 'inneren Säuberungen' beginnen, dann beginnt die nächste Tragödie in Russland. Ich wünsche mir, dass beide Seiten befreit werden.
Das Interview führte Angela Krumpen. Dies ist ein Auszug aus der Sendung "Menschen".