DOMRADIO.DE: In Mosambik kämpften die marxistische FRELIMO gegen die vom südafrikanischen Apartheid-Regime unterstützte RENAMO. Wie konnten sich die beiden Partei damals einigen?
Pfarrer Dr. Matthias Leineweber (Sant`Egidio Deutschland): Das war ein sehr schwieriger Prozess. Deswegen hat es auch zwei Jahre gedauert. Als erster Schritt war es notwendig, den Kontakt zu vermitteln. Am Anfang haben beide Parteien gar nicht miteinander gesprochen, sondern sich nur über die Vermittler verständigt.
Das waren Sant'Egidio mit seinem Gründer Andrea Ricardo, der heutigen Erzbischof von Bologna, Matteo Maria Kardinal Zuppi und andere. So ging es eigentlich erst mal hin und her, um Vertrauen herzustellen und dem anderen auch seine Glaubwürdigkeit zuspricht. Das war nicht von vornherein gegeben. Die RENAMO haben gesagt, die FRELIMO-Regierung sei eine Diktatur und habe keine Legitimation. Die FRELIMO haben gesagt, die RENAMO seien Terroristen und zerstörten nur das Land.
Dieser Gesprächsprozess war wie eine Schule. Wir haben gelernt, wie man sich auch in Krisen miteinander auf dem Weg des Dialogs machen kann, um die Krise zu lösen. Das hat sich langfristig bewährt.
DOMRADIO.DE: Der Friedensprozess in Mosambik ist jetzt 30 Jahre her. 2013 und 2014 gab es erneut offene Konflikte. Das zeigt auch der Fragile State Index. Dafür werden jedes Jahr alle UN-Staaten auf ihre politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität untersucht. Mosambik gehört dabei zu den Staaten, die sich zwischen 2010 und 2020 am meisten verschlechtert haben. Wie nachhaltig war das Friedensabkommen dann?
Leineweber: Zumindest kann man positiv festhalten, dass es nach dem Friedensabkommen mehrere regelmäßige und demokratische Wahlen in Mosambik gegeben hat. Diese Wahlen haben zu Wechseln an der Regierung geführt und es gab mehrere demokratische Präsidenten, die sich regelmäßig abgewechselt haben. Das ist eine sehr positive Entwicklung und sehr außergewöhnlich für die politische Situation in Afrika. Das ist sicherlich auch eine Frucht des Friedensabkommens. Dazu kommt, dass sich die wirtschaftliche Situation entschieden verbessert hat. Die Hauptstadt Mosambiks, Maputo ist nicht mehr wiederzuerkennen.
Allerdings ist der Friede von verschiedenen neuen Konflikten und vor allen Dingen von der angeblich dschihadistischen Guerillabewegung, die sich in den letzten Jahren im Norden des Landes festgesetzt, gefährdet. Es werden wieder Terroranschläge verübt und das gefährdet wieder die Stabilität des Landes.
Die Entwicklung zeigt, dass es erstens Zeit braucht, um nach 17 Jahren Bürgerkrieg Frieden aufzubauen. So etwas braucht Jahrzehnte und 30 Jahre sind eben noch nicht genug. Zweitens zeigt es, dass Friede niemals sicher ist. Das sehen wir seit einem halben Jahr auch in anderen Ländern. Für Frieden muss man immer wieder etwas tun, nachvollziehen, was passiert und am Frieden bauen. Nachhaltiger Frieden ist eine dauerhafte Aufgabe.
DOMRADIO.DE: Sant'Egidio wurde sehr gelobt für die Friedensverhandlungen in Rom. Schauen wir auf den aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Wie sehen sie die Chance auf Friedensverhandlungen?
Leineweber: Ich glaube, es gibt keine Alternative zu Verhandlungen. Man kann einen Krieg nicht militärisch gewinnen. Gerade mit den heutigen Waffen, die uns zur Verfügung stehen, die noch mal technischer, hochgradiger und zerstörerischer geworden sind als vor 30 Jahren. Es wird nur Verlierer geben.
Deswegen ist es dringend angesagt, so bald wie möglich Kanäle aufzutun, um Gespräche in die Wege zu leiten. Letztlicher Frieden kann man nur herstellen, wenn es einen Vertrag gibt. Wenn es keine Verträge gibt, in denen wirklich etwas festgelegt wurde, kann man keine Zukunft aufbauen.
Das sehen wir im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan in der Region Nagorno-Karabakh im Südkaukasus. Dort ist niemals ein eine Einigung bzw. ein Vertrag unterzeichnet worden. So schwelt dieser Krieg weiter und flammt immer wieder auf. Bei dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine würde das die ganze Welt bedrohen.
DOMRADIO.DE: Was müsste denn geschehen, damit Russland und die Ukraine zu Verhandlungen zusammenkommen? Haben Sie einen Vorschlag?
Leineweber: Das Wichtigste, was wir bei den Friedensverhandlungen in Mosambik gelernt haben, war, dass man die kriegsführenden Parteien davon überzeugen muss, dass Frieden von größerem Vorteil ist als Krieg. Wenn eine der Parteien das nicht einsieht, ist es schwierig.
Das ist die erste Aufgabe, aber eine Patentlösung gibt es nicht, denn Frieden suchen ist ein Prozess. Dieser Weg muss Schritt für Schritt gegangen werden. Dazu braucht es Vermittler. Für den Krieg zwischen Russland und der Ukraine brauchen wir unbedingt Vermittler, die von beiden Seiten als vertrauenswürdig angesehen werden.
Das war damals im Fall von Mosambik das große Pfund, das Sant'Egidio in die Friedensverhandlungen einbringen konnte. Sowohl die FRELIMO-Regierung als auch die RENAMO hatten ein unheimlich großes Vertrauen, dass Sant'Egidio eine Organisation ist, die nicht den eigenen Vorteil sucht, keine wirtschaftlichen oder politischen Interessen verfolgt und einfach nur helfen will, Frieden zu schaffen.
Das Interview führte Florian Helbig.