epd: Herr Pollack, in Köln wird an der Ditib-Moschee regelmäßig der Muezzin zum Gebet rufen. Um den Muezzinruf gibt es immer wieder scharfe Diskussionen. Woran liegt das?
Detlef Pollack (Religionssoziologe an der Universität Münster): Vor einigen Jahren haben wir eine Umfrage dazu gemacht. Sie hat ergeben, dass sich Menschen vom Glockenläuten kaum gestört fühlen, vom Muezzinruf aber schon. Wahrscheinlich hat das unter anderem damit zu tun, dass dem Christentum als einem Fundament unserer Kultur viele - trotz aller Kirchenkritik - mit Sympathie gegenüberstehen und das Läuten der Glocken als Teil dieser Kultur empfinden. Der Muezzinruf aber wird als etwas Fremdes wahrgenommen, das nicht zu unserer Kultur gehört. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung sieht im Islam nicht eine Bereicherung unserer Kultur, sondern etwas Bedrohliches.
epd: Können Sie Gründe dafür identifizieren?
Pollack: Wie Befragungen zeigen, assoziiert eine Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland mit dem Islam Fanatismus und Gewaltbereitschaft. Dieses Bild ist stark durch die Medien vermittelt, die immer wieder über islamistischen Terror berichten. Kontakte zu Musliminnen und Muslimen können dieses Bild zwar abschwächen, aber bringen es nicht zum Verschwinden. So entstehen kollektive Zuschreibungen: Während Glocken das Eigene symbolisieren, das man kennt, steht der Muezzinruf für das Fremde, von dem man sich potenziell bedroht fühlt.
epd: In der Diskussion um den Muezzinruf heißt es immer wieder, er sei eine wertende Aussage, was das Glockenläuten nicht sei. Trifft das denn zu?
Pollack: Der Muezzinruf ruft zum Gebet, die Glocken zum Gottesdienst. Funktional gesehen sind beide Aufrufe mehr oder weniger gleich. Viele Menschen werden das Glockenläuten aber weniger als die Aufforderung zum Gottesdienst verstehen, sondern verbinden mit ihm gewiss eher den Feierabend oder den freien Sonntag. Bei manch einem wird das Glockengeläut vielleicht auch so etwas wie Heimatgefühle wecken.
Das Interview führte Nils Sandrisser.