DOMRADIO.DE: An diesem Sonntag ist Welternährungstag. Wie groß ist das Problem des Hungers in der Welt aktuell?
Sarah Schneider (Referentin für ländliche Entwicklung und Welternährung bei Misereor): Wir haben tatsächlich derzeit eine sich zuspitzende Ernährungskrise. Sie wurde zuletzt durch den Ukrainekrieg noch einmal befeuert, weil dadurch die Getreidepreise weltweit angestiegen sind. Es ging aber schon damit los, dass während der Covid-19-Pandemie die Hungerzahlen angestiegen sind, da aufgrund der verschiedenen Maßnahmen und natürlich auch aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels immer mehr Menschen in Ernährungsunsicherheit geraten sind.
DOMRADIO.DE: Nun fordern Sie "Kein Essen in Trog und Tank" – so der Titel der Petition, die in dieser Woche an den zuständigen Bundesumweltminister übergeben wurde. Mehr als 58.000 Menschen haben unterzeichnet. Worum geht es dabei konkret?
Schneider: Es geht darum, dass in Deutschland circa 60 Prozent der Getreideproduktion an Tiere verfüttert werden und rund 10 Prozent als Agrosprit im Benzintank landen. Und in der aktuellen Situation, wo wir sehen, dass jeder zehnte Mensch weltweit von Hunger betroffen ist, sehen wir, dass wir hier in Deutschland eine Stellschraube haben, wie wir Getreide zur Verfügung stellen können – dass dann idealerweise mehr Getreide für den Weltmarkt zur Verfügung steht und sich dadurch Getreidepreise stabilisieren.
Und dann für insbesondere afrikanische Länder, die von diesen Importen derzeit abhängig sind, die Preise auch wieder sinken und dadurch idealerweise wieder Hunger bekämpft werden kann.
DOMRADIO.DE: Angesichts dieser Problematik – Wie sehen Ihre Forderungen an die Bundesregierung konkret aus?
Schneider: Die Forderung an die Bundesregierung ist entsprechend weniger essbares Getreide, das hier produziert wird, als Tierfutter oder Treibstoff zu verwenden. Das ist natürlich auch damit verbunden, dass die Nutztierhaltung umgebaut werden muss hin zu weniger, aber besser gehaltenen Tieren. Uns ist durchaus bewusst, dass das sowohl kurz-, als auch längerfristige Maßnahmen benötigt und dieser Umbau sozial abgefedert sein muss; also dass die Betriebe auch wirklich die nötige Unterstützung erhalten. Das ist natürlich auch mit unserem Konsumverhalten verbunden. Es geht auch darum, den Konsum und Export von tierischen Produkten herunterzufahren.
DOMRADIO.DE: Pirmin Spiegel, der Misereor-Hauptgeschäftsführer, hat vor einigen Wochen berichtet, dass die Petition auch zu Kritik geführt habe, vor allem aus der Landwirtschaft. Es seien Briefe und Mails beim Hilfswerk und verstärkt kritische Kommentare unter Beiträgen von Misereor auf sozialen Netzwerken aufgetaucht. Was werfen die Kritiker Ihnen vor?
Schneider: Ein Teil des Problems ist, dass viele Landwirte in Deutschland von dieser Forderung, die hier an das Landwirtschaftsministerium gestellt wird, natürlich unmittelbar betroffen sind bzw. sich zum Teil kritisiert fühlen, weil sie Getreide anbauen oder eben auch an Tiere verfüttern. Für uns ist wichtig, dass es hier in keinster Weise um Kritik an Einzelpersonen oder an Landwirte geht.
Wir wollen die systemische Frage aufwerfen: Ist es in dieser aktuellen Ernährungskrise haltbar, dass wir in Deutschland einen Großteil unseres Getreides verfüttern oder als Agrosprit in den Benzintank geben? Wir wollen Stellschrauben aufzeigen und eben auch perspektivisch vorausdenken. Es ist klar, dass sich das globale Ernährungssystem, aber auch unser Ernährungssystem hier in Deutschland, verändern muss – sei es, um das Hungerziel weltweit; sei es, um die Klimaziele zu erreichen. Und dabei muss eben das Thema Getreide als Tierfutter und überhaupt unser Konsum von tierischen Produkten mitgedacht werden.
Das Interview führte Moritz Dege.