"Wir stehen heute zum ersten Mal in der Geschichte des vereinten Deutschlands gemeinsam an einem Scheidepunkt", sagte das Staatsoberhaupt am Freitag in einer Rede mit dem Titel "Alles stärken, was uns verbindet" im Berliner Schloss Bellevue. Angesichts der Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine schwor Bundespräsident Steinmeier Deutschland auf Jahre der Einschränkungen ein. Zugleich betonte er: "Unser Staat lässt Sie auch in dieser Zeit nicht allein!"
Zusammenhalt stärken
Die Herausforderungen verlangten "widerstandskräftige Bürger", die "dem Gift des Populismus, der Gefahr des Auseinanderdriftens wirksam etwas entgegensetzen". Und: "Anstatt uns weiter auseinandertreiben zu lassen, müssen wir alles stärken, was uns verbindet", mahnte der Bundespräsident. Dabei bezog er sich besonders auf eine Solidarität zwischen Arm und Reich, den Austausch zwischen Stadt und Land und den Zusammenhalt der Generationen.
Steinmeier bekräftigte seinen Vorschlag einer "sozialen Pflichtzeit", in der "Menschen - mindestens einmal in ihrem Leben - für eine gewisse Zeit sich den Sorgen ganz anderer, zuvor fremder Menschen widmen, für diese Menschen da sind". Es sei keine Zumutung, "wenn wir die Menschen fragen, was sie für den Zusammenhalt zu tun bereit sind". Demokratie gehe nicht ohne Zusammenhalt, und dieser müsse eingeübt werden. "Er ist das Ergebnis von Menschen, von Empathie, von Verantwortung und Nächstenliebe". Die Idee nur abzulehnen, sei "keine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit".
Scharfe Verurteilung des russischen Angriffskriegs
Mit scharfen Worten verurteilte er "Russlands brutalen Angriffskrieg in der Ukraine". Er habe die europäische Sicherheitsordnung in Schutt und Asche gelegt und sei ein "Angriff auf alle Lehren, die die Welt aus zwei Weltkriegen gezogen hatte". Im Rahmen des "Epochenwandels" trete an die Stelle des Austauschs, der Suche nach Verbindendem "mehr und mehr das Ringen um Ideologie und Dominanz". Chinas wirtschaftlicher und politischer Machtanspruch sei dabei ein wichtiger Faktor. "Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu. Die Friedensdividende ist aufgezehrt", so Steinmeier. Für Deutschland beginne "eine Epoche im Gegenwind".
"Die Welt ist auf dem Weg in eine Phase der Konfrontation", mahnte der Bundespräsident; obwohl sie angesichts von Klimawandel, Artensterben, Pandemien, Hunger und Migration "dringender denn je auf Kooperation angewiesen wäre". Nichts davon lasse sich lösen ohne die Bereitschaft und den Willen zu internationaler Zusammenarbeit. "Das Bemühen darum darf die Welt - trotz Krieg und Krise - nicht aufgeben."