DOMRADIO.DE: Der Aufschrei rund um Geburten und die Geburtshilfe ist gerade groß. In dem sogenannten Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung werden die Budgets für die Pflege neu geregelt. Fachfrauen sagen, dass es katastrophale Auswirkungen für die klinische Geburtshilfe hat. Wieso sollte das Gesetz eine Katastrophe sein?
Sonja Ligget-Igelmund (Hebamme): Das Gesetz sagt, dass ab 2025 nur noch qualifizierte Pflegekräfte auf bettenführenden Stationen eingesetzt werden. Hebammen auf Wochenstationen zählen nicht zu den qualifizierten Pflegekräften.
Die Geschäftsführer der Krankenhäuser müssen sich jetzt einen neuen Topf mit Geld suchen, aus dem sie die Hebammen finanzieren können, die auf den Wochenstationen arbeiten. Sonst müssen sie rausgeschmissen werden. Es ist natürlich Quatsch, das zu machen, denn der Mix an Professionen auf den Stationen ist wichtig. Ich brauche Hebammen, ich brauche Kinderkrankenschwestern, ich brauche Stillberaterinnen, ich brauche Krankenschwestern und alle Pfleger, die sich mitgemeint fühlen.
Weil diese Mischung es für die Frauen macht. Ich brauche nicht nur eine Profession an dieser Stelle. Hebammen sind dabei aber ganz besonders wichtig, weil sie absolute Expertinnen für das Wochenbett sind. Sie werden ja für nichts anderes außer Schwangerschaft, Geburt und die Betreuung danach ausgebildet. Das ist bei Kinderkrankenschwestern anders und bei großer Pflege auch. Also ich kann mir nicht erklären, wie man auf die Idee gekommen ist, gerade diese Berufsgruppe aus dem Budget zu streichen.
DOMRADIO.DE: Hebammen sind ausgebildet für die Nachsorge im Wochenbett. Aber können diese Aufgabe dann nicht auch von anderen Berufsgruppen übernommen werden, anderen Pflegenden?
Ligget-Igelmund: Nein, andere Pflegende haben einen anderen Blick für andere Dinge. Wenn ich auf ein Zimmer gehe, wo eine Wöchnerin liegt, habe ich den Gesamtblick. Ich sehe Mutter und Kind gemeinsam in der Konstellation. Die anderen Professionen sehen die Mutter oder das Kind und versuchen natürlich auch das Gesamtpaket zu sehen.
Aber das ist nun mal die Spezialität von Hebammen. Ich arbeite auf der Wochenstation in Köln und unser Team ist deshalb so gut, weil wir gemeinsam arbeiten. Weil alle Berufsgruppen ihr Fachgebiet haben, kommt für die Frauen und die Väter und die Kinder ein Mix dabei raus, der perfekt ist. Da kann ich nicht einfach eine Berufsgruppe rauskegeln. Hinzukommt, dass Hebammen heutzutage nicht mehr gerne im Kreißsaal arbeiten. Die Verweildauer im Beruf liegt bei sieben Jahren. Das heißt, ich studiere den Beruf und nach sieben Jahren verlasse ich frustriert und ausgebrannt den Beruf.
DOMRADIO.DE: Braucht es auch Wochenbettstationen nicht auch Hebammen, die neue Hebammen ausbilden?
Ligget-Igelmund: Das ist das nächste, was wahnsinnig interessant ist, an diesem Gesetz. Es gibt eine Ausbildungsverordnung für das Hebammenstudium, das besagt, dass ich praxisanleitende Hebammen auf der Wochenstation brauche, um die werdenden Hebammen fit dafür zu machen, im Wochenbett Pathologien zu erkennen. Dazu zählt auch die Nachsorge zu Hause im Wochenbett. Ich muss erkennen, wenn was schiefläuft.
Wenn ich aber keine Hebammen mehr auf der Wochenstation habe, oder nur sehr wenige, ist das Studium wiederum in Gefahr. An allen Stellen ist dieses Gesetz für die Geburtshilfe verrückt. Es gibt den Verein Mother Hood, der ist da ganz cool. Die sehen natürlich die Sache aus Sicht der Frauen. Frauen in Deutschland fordern nämlich Hebammen-Unterstützung bei der Geburt und im Wochenbett.
DOMRADIO.DE: Gegen das Gesetz gibt seit Samstag eine Petition inzwischen mit über 1.100.000 Unterschriften. Und man kann online im Sekundentakt dabei zugucken, wie die Zahl steigt. Sie haben auch unterschrieben. Wie erklären Sie sich, dass so viele Menschen in so kurzer Zeit zusammengekommen sind?
Ligget-Igelmund: Sehr viele Menschen in Deutschland haben bereits von Hebammen-Hilfe profitiert, zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens. Und die kriege ich natürlich mit so einer Petition. Wenn die hören, dass in Zukunft Frauen wieder 'schlechter' betreut oder weniger betreut werden sollen, dann sind die getriggert und dann machen die mit, weil die wissen, wie wichtig das ist. Ich freue mich natürlich auch, wenn Omas oder Opas da mitmachen. Die wollen ja auch, dass ihre Tochter, ihr Sohn bei der Geburt gut betreut werden. Eine andere Sache noch: In Deutschland gibt es Kinderrechte nicht im Grundgesetz. Wären sie im Grundgesetz, könnten die Kinder schon fordern: wir möchten bitte auch von einer Hebamme betreut werden. Vor Jahren hatten wir eine Petition vom Verein 'Hebammen für Deutschland'.
Da ging es darum, dass die Versicherung auf der Kippe stand und viel zu teuer war. Darum, dass Hebammen nicht mehr mit ihrer eigenen Arbeit finanzieren konnten. Da haben sich auch viele Menschen an der Petition beteiligt. Es gab auch eine Anhörung von der Regierung. Jetzt hoffe ich, dass auch diese Petition der Regierung vorgelegt wird und dass es im Gesundheitsausschuss ein Thema wird. Es gibt Lösungen dafür. Es gibt einen Brandbrief von der Präsidentin des Hebammen Verbandes. Da steht das alles drin, auch die Lösungsvorschläge.
DOMRADIO.DE: Es soll aber ja nicht nur schlimmer werden. Die Bundesregierung verspricht im Koalitionsvertrag eine Eins-zu-eins-Betreuung von schwangeren Frauen während der Geburt. Sehen Sie, dass es dazu kommt?
Ligget-Igelmund: Nicht mit diesem Gesetz. Denn damit fühlen sich Hebammen wieder vergrault und nicht wertgeschätzt.
DOMRADIO.DE: Das klingt, als würde die Geburtshilfe zu einem Profit-Geschäft gemacht. Ist eine gute Hebamme mittlerweile Luxus?
Ligget-Igelmund: Das Profigeschäft sehe ich woanders. Man kann kein Geld mit Geburtshilfe verdienen. Die Geschäftsführer deutscher Krankenhäuser haben ein Problem damit, wenn sie einen Kreißsaal haben, weil der einfach nicht viel Geld bringt. Der bringt nur Geld, wenn es viele Kaiserschnitte gibt. Die Kaiserschnitt-Rate in Deutschland ist sehr hoch. Die liegt bei 30 bis 50 Prozent in manchen Häusern.
Laut WHO sind aber nur 15 Prozent medizinisch notwendig. Man kann mit guten, gesunden Geburten kein Geld verdienen. Das ist das Grundsatzproblem. Frauen sollten den Luxus haben, so gut bei der Geburt betreut zu werden, dass es nicht zum Kaiserschnitt kommen muss. Und wer soll sich das leisten? Warum sollen Frauen bei der Geburt in Zukunft alles selber zahlen? Wenn es darauf hinausläuft, wird Geburtshilfe gefährlich. Alle Verbände, die mit Geburten und Forderungen von Müttern zu tun haben, fordern, dass das kein Luxus wird, fordern eine bessere Betreuung und in diesem Gesetz sieht man den Willen für die bessere Versorgung nicht.
Das Interview führte Katharina Geiger.