November 1952: In einem Township nahe der südafrikanischen Küstenstadt East London haben schwarze Freiheitskämpfer zum Widerstand aufgerufen. Aber ihr Aufstand eskaliert. Eine Ordensfrau wird brutal ermordet. Die Apartheid-Polizei übt Rache und erschießt im Blutrausch Hunderte Township-Bewohner. In wenigen Tagen jährt sich das Massaker von Duncan Village zum 70. Mal. Allerdings scheint die junge Nation das Ereignis verdrängt zu haben.
"Sanft, menschlich, bescheiden" - so erinnern Zeitzeugen an Elsie Quinlan. Die Dominikanerin aus Irland war ab 1949 als Ärztin an der Saint-Peter-Claver-Mission in Duncan Village stationiert. Quinlan, bekannt unter ihrem Ordensnamen Schwester Aidan, hatte Medizin in Johannesburg studiert. Zu jener Zeit war die Versorgung in "Eingeborenenreservaten" wie Duncan Village verheerend: Typhus und Tuberkulose gingen um, nur die Hälfte aller Kinder überlebte die Geburt. In diesem medizinischen Inferno eröffnete die katholische Kirche 1941 das Glen-Grey-Krankenhaus. Erste Pflegerinnen waren Dominikanerinnen, die ersten Ärzte Missionare aus Deutschland.
Gesetze regelten Wohnort, Heirat, Jobs
1952 war die Rassentrennung in vollem Gang: Gesetze regelten, wo Südafrikaner leben, wen sie heiraten und welche Jobs sie annehmen durften. Die Führer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) riefen zum Protest auf - durch friedlichen Widerstand sollte das Apartheid-Regime in die Knie gezwungen werden. "Doch mit der Zeit zog die Kampagne zunehmend auch frustrierte und arme Südafrikaner an, die nicht der ANC-Elite angehörten und die schließlich auf Gewalt zurückgriffen", erzählt Mignonne Breier. Mit ihrem kürzlich veröffentlichten Buch "Bloody Sunday" verfasste die Autorin den ersten neutralen Untersuchungsbericht zum Massaker von 1952. Darin schildert sie minutiös das Geschehen vor und nach dem Blutbad.
9. November 1952: Die Stimmung ist geladen. Am Vortag tötete die Polizei in der nördlicher gelegenen Stadt Kimberley ein Dutzend schwarzer Demonstranten. In Duncan Village versammeln sich 800 Bewohner zu einer politischen Kundgebung. Die Situation kippt, als Sicherheitskräfte die Versammlung gewaltsam auflösen, acht Menschen erschießen und 27 verletzen. Kurz vor 17.00 Uhr fährt Schwester Aidan in das Township - vermutlich, um die Opfer zu versorgen. Ein wütender Mob hält sie auf, zerschlägt die Scheibe ihres schwarzen Austin A40, sticht mit Messern auf sie ein und setzt die hilflose Frau in Brand.
Sie stirbt den Rosenkranz umklammernd
Manche Bewohner versuchen zu helfen, haben aber keine Chance: Schwester Aidan stirbt, ihren Rosenkranz umklammernd, im Gebet. Dann zieht die Meute weiter, um ihre Mission samt Kirche und Schule in Brand zu stecken. Die Polizei reagierte mit blutiger Rache. In Truppenfahrzeugen patrouillierten weiße Polizisten die Nacht durch in der Armensiedlung, feuerten bis zu 600 Schuss pro Minute aus ihren Maschinenpistolen, schossen auf jeden potenziellen Politaktivisten.
Nach offiziellen Angaben starben in jener Nacht acht schwarze Menschen. Historiker und Ex-Ermittler gehen aber von mindestens 214 Toten aus. Damit wäre dies der tödlichste Polizeieinsatz in der Geschichte von Apartheid-Südafrika. "Doch es wurde von Beginn an verschleiert. Die Polizei hatte die volle Kontrolle über die Siedlung, sie konnte sie abriegeln und tun, was immer sie wollte", sagt Breier. Journalisten wurden verbannt.
Auf informellen Friedhöfen beerdigt
Verwandte und Nachbarn beerdigten die vielen Toten auf einem der 200 informellen Friedhöfen rund um East London. Und das Massaker geriet in Vergessenheit. Breier wünscht sich 70 Jahre später eine neue Untersuchung. Leider gebe es von offizieller Seite "keinerlei Interesse". Zumindest den Bewohnern von Duncan Village und den Dominikanerinnen kann man keine Geschichtsvergessenheit vorwerfen. Für sie habe Schwester Aidan ein "blühendes Vermächtnis hinterlassen", so Breier.
Die niedergebrannte Kirche wurde wieder aufgebaut. Es gebe eine Schule und ein Konvent. Daneben wurde mit finanzieller Hilfe aus Deutschland eine Gedenkhalle gebaut, die Schwester Aidans Namen trägt. "In diesem Zentrum werden täglich Hunderte Menschen verköstigt", erzählt Breier. In regelmäßigen Abständen behandle ein Arzt die Menschen vor Ort und es gebe Bildungsveranstaltungen. Eine weitere Mission könnte der Township-Pfarrei allerdings noch bevorstehen, meint die Autorin: "So gut wie jeder, mit dem ich sprach - ob Ordensleute oder katholische Bewohner - wünscht sich, dass Schwester Aidan seliggesprochen wird."