Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach ist traditionell meist im Advent zu hören und bedeutet für viele die "klassische" Einstimmung auf die Geburt Jesu schlechthin. Dabei nimmt es musikalisch vorweg, was eigentlich erst in der Zeit ab dem ersten Weihnachtstag bis zum Epiphaniefest dran wäre. So nämlich ist es vom Komponisten ursprünglich angelegt worden. Viel passender sind daher im Moment die Kantaten, die Bach für die vier Adventssonntage geschrieben hat und die der Leiter des Vokalensembles Kölner Dom, Eberhard Metternich, vor drei Jahren für seinen Chor einmal zu einem "Adventsoratorium" zusammengestellt hat. Nun – zum 25-jährigen Bestehen des Ensembles – will er diese "Neuschöpfung" zum ersten Mal auch im Kölner Dom aufführen. Mit dabei sind Concert Royal Köln sowie die Solisten Dongmin Lee, Sopran, Luca Segger, Altus, Henning Jendritza, Tenor, und Markus Auerbach, Bass.
Im Zuge seiner damaligen Forschungen zu diesen vier Kantaten hatte Metternich feststellen müssen, dass seine Idee, aus diesen "Einzelstücken" ein zusammenhängendes Oratorium zu machen, so einfach gar nicht zu realisieren war. Denn in Leipzig wie in der gesamten sächsischen Landeskirche war die instrumentale Begleitung am zweiten, dritten und vierten Adventssonntag verboten, so dass damit für Bach auch die Notwendigkeit, überhaupt für diesen Anlass eine Kantate zu schreiben, weitgehend entfiel. Lediglich eine Kantate zum ersten Advent aus einem der drei vollständig erhaltenen Jahrgänge aus seiner Leipziger Zeit mit dem Titel "Nun komm der Heiden Heiland", BWV 62, eignete sich zunächst für das von Metternich geplante Vorhaben.
Schließlich gelang es ihm, frühere Kantaten ausfindig zu machen, die Bach in seiner Zeit als Hofkonzertmeister in Weimar für die drei letzten Sonntage im Advent geschrieben hat. Denn dort hatte der Kirchenmusiker die Aufgabe, zur Entlastung seines kränkelnden Chefs, Hofkapellmeister Johann Samuel Drese, eine Kantate pro Monat zu komponieren. Und als dieser Anfang Dezember 1716 starb, musste Bach ganz einspringen und die entstandene Lücke füllen. Auf diese Weise entstanden zum zweiten Advent "Wachet! Betet! Betet! Wachet!", zum dritten Advent "Ärgre dich, o Seele, nicht" und zum vierten Advent "Herz und Mund und Tat und Leben". Allerdings hat Bach alle diese Kantaten, da er sie an seinem neuen Wirkungsort nicht mehr für die vorgesehenen Sonntage brauchen konnte, in seinem ersten Leipzig-Jahr umgearbeitet und für andere kirchliche Feste oder Sonntage nutzbar gemacht.
"Leider sind die jeweiligen Urfassungen nicht mehr enthalten und die Rekonstruktionen umstritten", kommentiert Metternich zu seinem Fund, "zumal sie in allen drei Fällen zu einer Erweiterung der Kantate führten, die im Original aber ursprünglich den klassischen Typus mit Eingangschor, Solo-Arien und Schlusschoral aufwies." Auch die Instrumentierung sei geändert worden, da Bach in Leipzig dann mit anderen Instrumentalisten gearbeitet habe. Trotzdem, so der Domkapellmeister, sei der Versuch, mit inzwischen edierten Rekonstruktionen der Original-Kantaten diese Musik wieder in die Zeit ihrer ursprünglichen Verwendung zurückzuholen, sie kurzerhand zu einem "Adventsoratorium" zusammenzubinden und damit den großen Barockmeister eben im Advent nicht allein über seine Weihnachtsmusik erfahrbar zu machen, allemal lohnenswert gewesen. Auf die Dom-Premiere darf man daher sehr gespannt sein!