DOMRADIO.DE: Schon im Sommer haben Sie Ihre Zweifel an der Unabhängigkeit der Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Köln geäußert. Hat Sie der Rückzug von Stephan Rixen jetzt überrascht?
Karl Haucke (Missbrauchsbetroffener und Gründungsmitglied des unabhängigen Instituts für Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt an der Bonner Universität): Ich bin kein Prophet, aber der Schritt war aus verschiedenen Gründen tatsächlich erwartbar. Herr Rixen ist ein aufrechter und redlicher Mensch. Der kann sich auf Dauer vermutlich nicht in einem Umfeld bewegen, in dem Kontrolle keine Rolle spielt.
Denn die Bereitschaft, eigene Fehler zu erkennen oder sogar eigene Schuld zuzugeben, liegt in Köln gar nicht vor. Jede ehrliche Aufarbeitung läuft auf Schuld hinaus. An dieser Stelle ist die Bistumsleitung zu einer Einsicht im Grunde nicht bereit. Insofern bin ich nicht überrascht
DOMRADIO.DE: Was bedeutet das jetzt? Sollte die Aufarbeitung der Kommission dennoch weitergeführt werden?
Haucke: Es sind eine Menge Menschen in dieser Aufarbeitskommission, die nicht unabhängig sind. Insofern ist es sicherlich notwendig, entweder mit einer neuen Zusammensetzung oder mit einer anderen Struktur zu arbeiten.
Das übrigens schließt die gemeinsame Erklärung zwischen der Bischofskonferenz und dem damaligen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Rörig, überhaupt nicht aus.
DOMRADIO.DE: Wie müsste man es machen, damit die Aufarbeitung unabhängig und für die Betroffenen gleichzeitig eine angemessene Aufarbeitung wäre? Sollte die Kirche vielleicht komplett ihre Finger rauslassen?
Haucke: Die Betroffenen fordern schon lange, dass der Kirche auf die Finger geschaut wird. Wir brauchen dafür eine gesetzliche Verankerung des Rechtes auf Aufarbeitung. Wir brauchen das Recht der Betroffenen zur Zeugenbefragung. Wir brauchen das Recht der Akteneinsicht in die Archive. Das betrifft natürlich nicht nur die Kirchen, sondern auch andere Täter-Organisationen.
Wenn es jemand dem Betroffenen schwer macht, das individuelle Recht auf Aufarbeitung durchzusetzen, dann braucht es eben im Anschluss ein kontinuierliches Ombudsgremium, das in der Lage ist, den Betroffenen dieses Recht zu verschaffen, das sie da haben. Die Inszenierung von Missverständnissen, wie das hier in Köln läuft, ist jedenfalls nicht der richtige Weg.
DOMRADIO.DE: Sie beschäftigen sich schon länger mit diesem Thema. Warum, denken Sie, ist eine unabhängige Arbeit des Gremiums so schwierig?
Haucke: Zu einer unabhängigen Arbeit des Gremiums gehören erst mal unabhängige Menschen. Wenn ich mir anschaue, wer in diesem Gremium sitzt, sind dann durchaus zumindest zum Teil bischofsaffine Menschen drin. Dann ist eben keine Unabhängigkeit möglich.
Herr Rörig als Missbrauchsbeauftragter hatte das vor zwei Jahren grundsätzlich so vorgesehen. Es sollten unabhängige Menschen von der Landesregierung benannt sein. Das war mit Herrn Rixen der Fall. Auch das Erzbistum Köln hat Mitglieder benannt.
Aber weil die Kollegen von ihm eben nicht die Unabhängigkeit mitgebracht haben, die wünschenswert gewesen wäre, hat er jetzt gesagt: Ich komme da mit dem Anliegen auf Kontrolle nicht durch. Denn Aufarbeitung heißt Kontrolle. Von daher finde ich seinen Ausstieg angemessen und richtig.
Das Interview führte Elena Hong.