Im Iran ist erstmals seit Beginn der systemkritischen Massenproteste vor etwa drei Monaten ein Demonstrant hingerichtet worden. Ein Revolutionsgericht in der Hauptstadt Teheran habe ihn gemäß islamischer Rechtsauffassung wegen "Kriegsführung gegen Gott" zum Tode verurteilt, meldete am Donnerstag die staatliche Nachrichtenagentur Irna. Demnach soll er ein Mitglied der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Miliz mit einer Waffe angegriffen, Schrecken verbreitet und eine Straße blockiert haben. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verurteilte die Exekution. "Die Menschenverachtung des iranischen Regimes ist grenzenlos", schrieb sie auf Twitter.
Der Mann war laut Irna Ende September in Teheran verhaftet worden. Seine Berufung hatte der Oberste Gerichtshof abgelehnt. Nach Medienberichten hieß er Mohsen Schekari. Zur Art der Hinrichtung gab es zunächst keine Angaben, doch wird die Todesstrafe normalerweise durch Erhängen vollstreckt.
Kundgebungen gegen die iranische Führung
Die Kundgebungen gegen die Führung der islamischen Republik dauern immer noch an. Seit Beginn der Woche hielten vor allem in der iranischen Kurdenprovinz viele Ladenbesitzer aus Protest ihre Geschäfte geschlossen. In weiten Landesteilen war ein massives Aufgebot von Sicherheitskräften präsent, um Versammlungen und Proteste zu verhindern.
Experten waren von dem Tempo des Prozesses und der Vollstreckung überrascht. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International äußerte sich entsetzt und sprach von einem "äußerst unfairen Scheinprozess". Nach Angaben des Nachrichtenportals Misan, das der Justiz nahe steht, wurde Schekari am 25. September verhaftet und das Todesurteil bereits am 20. November verlesen. Auch unabhängige Experten des UN-Menschenrechtsrats beklagten, der Mann habe keinen fairen Prozess bekommen. Zwölf weitere Menschen seien aus gleichen Gründen in der Todeszelle.
Baerbock kündigte harte Reaktion der EU an
Außenministerin Baerbock kündigte eine harte Reaktion der Europäischen Union an. Dass die iranische Führung "mit diesen perfiden Schnellverfahren" und dem Todesurteil "ein grausames Exempel" statuiere, unterstreiche die Menschenverachtung dieses Regimes, sagte die Grünen-Politikerin bei einem Treffen mit ihrem irischen Kollegen Simon Coveney in der Hauptstadt Dublin. Das Auswärtige Amt bestellte im Zusammenhang mit den Vorfällen nach Informationen aus Regierungskreisen den iranischen Botschafter in Deutschland ein. Dies gilt als scharfe diplomatische Reaktion.
Auch Frankreichs Außenministerium äußerte scharfe Kritik. Diese Hinrichtung reihe sich ein in zahlreiche andere schwere und inakzeptable Verstöße gegen die Grundrechte und -freiheiten, die von den iranischen Behörden begangen wurden, teilte das Ministerium mit. Frankreich bekräftige sein Eintreten für das Recht, friedlich zu demonstrieren, und verurteile scharf die gegen die demonstrierenden Iranerinnen und Iraner gerichteten Repressionen. Auch ein UN-Sprecher verurteilte die Hinrichtung.
In den vergangenen Wochen wurden bereits mehrere Todesurteile gegen Demonstranten verhängt. Die Justiz hat angesichts der Proteste einen harten Kurs angekündigt. Auch im Parlament forderten Abgeordnete harte Urteile bis zur Todesstrafe für die Tausenden inhaftierten Protestteilnehmer. Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern wurden seit Mitte September mindestens 470 Demonstranten getötet und mehr als 18 000 verhaftet.
Menschenrechtler üben Kritik
Der prominente iranische Blogger und Menschenrechtsaktivist Hossein Ronaghi, der jüngst auf Kaution aus der Haft entlassen wurde, schrieb an die politische Führung gerichtet auf Twitter: "Wir werden die Augen angesichts der Exekutionen nicht verschließen, die Hinrichtung eines jeden Demonstranten wird ernste Konsequenzen für Euch haben." Das Leben einer Person zu nehmen sei "wie das Leben von uns allen zu nehmen. Könnt Ihr Galgen für uns alle aufstellen?"
Menschenrechtler kritisieren, dass die Zahl der vollstreckten Todesurteile im Iran seit der Amtsübernahme des erzkonservativen Präsidenten Ebrahim Raisi im Sommer vergangenen Jahres deutlich angestiegen ist. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden nach Angaben von Amnesty International mindestens 250 Menschen hingerichtet, vor allem wegen Drogendelikten.
Auslöser der landesweiten Proteste war der Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini. Sie starb am 16. September im Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. (dpa / 08.12.2022)