Der ungewisse Verlauf des Krieges in ihrer Heimat macht es für Geflüchtete aus der Ukraine schwierig, Zukunftspläne zu schmieden. Trotz der psychischen Belastung durch Flucht und Trennung geht es mit der Integration gut voran, wie eine Studie zeigt.
Mehr als jeder dritte Kriegsflüchtling aus der Ukraine möchte entweder für immer oder zumindest für mehrere Jahre in Deutschland bleiben. Das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurden. Von den mehr als 11 000 Ukrainerinnen und Ukrainern, die daran teilgenommen haben, äußerten 26 Prozent die Absicht, für immer in Deutschland leben zu wollen. Elf Prozent der Kriegsflüchtlinge wollen demnach mehrere Jahre bleiben.
Rund ein Drittel der Geflüchteten (34 Prozent) will Deutschland nach einem Ende des Krieges, den Russland am 24. Februar begonnen hatte, wieder verlassen. 27 Prozent der Befragten waren unentschieden. Lediglich zwei Prozent der Ukraine-Flüchtlinge planen, innerhalb eines Jahres wieder auszureisen.
Von den Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter hatten zum Zeitpunkt der Befragung, zwischen August und Oktober, 17 Prozent einen Job. Die meisten von ihnen - 71 Prozent - gingen laut Studie einer Tätigkeit nach, die einen Hochschul- oder Berufsabschluss voraussetzt. "Wir bewerten diesen Anteil als relativ hoch", auch im Vergleich zu früheren Erfahrungen mit anderen Flüchtlingsgruppen, sagte Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Mit steigender Sprachkompetenz werde sich der Anteil der Erwerbstätigen voraussichtlich deutlich erhöhen, prognostizierte er - zumal die überwiegende Mehrheit nach eigener Aussage eine berufliche Tätigkeit anstrebe. Lediglich fünf Prozent der Ukraine-Flüchtlinge gaben bei der Befragung an, über gute Deutschkenntnisse zu verfügen. Die Hälfte der Ukrainerinnen und Ukrainer besuchte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Deutschkurs.
Ein zweiter wichtiger Faktor bei der Suche nach einer bezahlten Beschäftigung ist die Kinderbetreuung. Fast die Hälfte der erwachsenen Geflüchteten (48 Prozent) ist mit minderjährigen Kindern nach Deutschland gekommen.
Zwei Drittel der nach Deutschland Geflüchteten stammt aus Regionen der Ukraine, die besonders stark vom Krieg betroffen sind. Als wichtigstes Motiv für die Wahl des Ziellandes Deutschland nennen 60 Prozent der Flüchtlinge Familienangehörige, Freunde und Bekannte, die bereits hier leben. Andere häufig genannte Motive sind die Achtung der Menschenrechte, das Wohlfahrtssystem, das Bildungssystem, die Willkommenskultur und die wirtschaftliche Lage in Deutschland. 18 Prozent der Flüchtlinge gaben an, der Zufall habe sie nach Deutschland geführt.
An der Studie "Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland - Flucht, Ankunft und Leben" haben das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und das IAB mitgewirkt. Eine zweite Befragung ist Anfang 2023 geplant.
Es sei deutlich zu sehen, "dass Krieg und Flucht Spuren hinterlassen haben, die weiter nachwirken", sagte Nina Rother vom Forschungszentrum im Bamf. Auf einer Skala von 1 bis 10 schätzten die Befragten ihre Lebenszufriedenheit im Schnitt mit 5,8 deutlich niedriger ein als die sonstige Bevölkerung in Deutschland, wo ein Durchschnittswert von 7,5 erreicht wird.
Am Stichtag 21. November waren im Ausländerzentralregister 1 026 599 Menschen erfasst, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine seit dem 24. Februar nach Deutschland eingereist sind. Ukrainische Flüchtlinge können ohne Visum nach Deutschland einreisen und bekommen - ohne einen Asylantrag stellen zu müssen - vorübergehenden Schutz. Sie können Hartz-IV-Leistungen erhalten, beziehungsweise demnächst Bürgergeld.
Es sei richtig, den Ukraine-Flüchtlingen eine Perspektive auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu geben, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Dazu gehöre auch, dass Sprachangebote oder die Angebote zu Arbeitsvermittlung breit genutzt würden. Dies sei durch den Zugang zur Grundsicherung und die Betreuung durch die Jobcenter ermöglicht worden.
Die erwachsenen Geflüchteten aus der Ukraine sind zu rund 80 Prozent Frauen. Durch die Generalmobilmachung ist Männern im wehrfähigen Alter die Ausreise nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erlaubt. Die Ukraine-Flüchtlinge sind im Schnitt jünger und verfügen über mehr Bildung als der Durchschnitt der Bevölkerung im Herkunftsland.
Die deutliche Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten gab an, sie habe sich bei ihrer Ankunft in Deutschland willkommen gefühlt. Laut Studie war dies bei etwa einem Drittel der Flüchtlinge voll und ganz der Fall. 43 Prozent der Befragten gab an, sich zu Beginn überwiegend willkommen gefühlt zu haben. Lediglich eine Minderheit von sieben Prozent fühlt sich gar nicht oder kaum willkommen. "Viele in unserer Gesellschaft und auf allen staatlichen Ebenen sind über sich hinausgewachsen, um Geflüchteten zu helfen", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie versprach: "Wir werden den Geflüchteten weiter mit aller Kraft helfen." (dpa)