"Weihnachten hat sich immer wieder neu erfunden", schreibt Karl-Heinz Göttert (79), emeritierter Professor für Germanistik an der Uni Köln.
Er hat Höhen und Tiefen des Festes erforscht und beschreibt in einem Buch einen weiten Bogen von den Evangelien über die Umformung in ein bürgerliches Geschenk- und Familienfest im 18. Jahrhundert bis zum Coca-Cola-Weihnachtsmann von heute beschrieben. Die Geschichte des Fests ist, da ist sich der Wissenschaftler sicher, eines der spannendsten Themen der europäischen Kultur.
"Säkularisierung hat Weihnachten erst richtig groß gemacht"
Weihnachten hat weltweite Ausstrahlung - weit über das Christentum hinaus. Doch dieser Erfolg ist teuer erkauft. Das Christfest verlor seinen ursprünglichen Inhalt - nämlich die Feier der Geburt des Erlösers von der Sünde, die die Menschheit mit dem Verlust des Paradieses bezahlte. "Ausgerechnet diese Säkularisierung, die Befreiung von den theologischen Konstrukten, hat es erst richtig groß gemacht", sagt der Germanist.
Mit Weihnachten, so Göttert, hatte das Christentum immer schon große Schwierigkeiten. Nicht nur, dass nur zwei der vier Evangelisten - und dann auch noch widersprüchlich - von der Geburt Jesu berichten: Lukas erzählt von der Krippe im Stall und den Hirten auf dem Feld. Matthäus berichtet von den Weisen aus dem Morgenland.
Für heutige Leser überraschend: Trotz der biblischen Berichte entstand das Weihnachtsfest erst im vierten Jahrhundert. Die junge Kirche hatte sich zunächst ganz und gar auf Ostern und die Auferstehung Jesu konzentriert. Das Weihnachtsfest war also eine späte Zutat: Im Streit um die wahre Natur Jesu - göttlich oder menschlich - und im Zuge der Stabilisierung des Christentums kam auch die Frage auf, wo und wann der Erlöser geboren wurde - und wann man dies feiern könnte.
Göttert widerspricht der These, Weihnachten habe das heidnische Fest des Sonnengottes überdecken sollen: Dessen Kult habe sich erst später etabliert. Umstritten war zunächst, ob man eher die menschliche Geburt in Bethlehem oder die Taufe Jesu - die Geburt des Gottessohnes - feiern sollte. Man entschied sich - für beides.
Puritaner verboten Weihnachten
In ruhigeren Zeiten kleidete die Kirche das Weihnachtsfest in einen Festkreis - mit Advent, Nikolaus, den Gedenktagen der Märtyrer Stephanus und der unschuldigen Kinder bis zu den Heiligen Drei Königen. Eine ausgefeilte Liturgie wurde entwickelt, Musik und Schauspiel gaben dem Fest einen immer feineren Rahmen.
Doch Göttert betont: Lange war Weihnachten vor allem ein Fest für Kleriker. Das änderte sich erst im Spätmittelalter, als biblische Geschichten auch als Theater aufgeführt wurden - zunächst in den Kirchen, dann verstärkt auf Marktplätzen. Die lateinischen Texte wurden durch volkssprachliche ersetzt, die frommen Erzählungen mit derben Szenen ergänzt. Im Wettstreit mit Ostern machte Weihnachten immer mehr Boden gut.
Eine Dynamik, die die Reformatoren im 16. Jahrhundert aufhalten wollten. Luther schätzte zwar das Fest, dichtete sogar bedeutende Weihnachtslieder, verurteilte aber die Verehrung des heiligen Nikolaus und unbiblisches Brauchtum. Calvin und Zwingli waren strenger, und insbesondere die Puritaner in England und den USA verboten Weihnachten zeitweise als das "abergläubischste" aller Feste. Auch das Zeitalter der Aufklärung qualifizierte die biblischen Weihnachtserzählungen als Mythen.
Santa Claus - der "Heilige des Kommerzes"
Das Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts bewahrte Weihnachten trotz Entkirchlichung als Familien- und Geschenkfest. Weihnachtsbäume wurden zum protestantischen Erkennungsmerkmal, die Krippen zum katholischen.
Auch die Politik vereinnahmte das Fest: Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 verteidigten deutsche Soldaten die "deutsche Weihnacht". Die Nationalsozialisten versuchten, den christlichen Aussagen germanische Ursprünge anzudichten. Heute verteidigen katholische Verbände den heiligen Nikolaus gegen eine aus den USA herübergeschwappte Figur: gegen Santa Claus als "Heiligen des Kommerzes".