Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dauert es immer eine Weile, bis wir begreifen, dass wir ihn vielleicht nicht mehr wiedersehen - hier auf Erden. Wenn der Stellvertreter Christi auf der Erde stirbt, ist das nicht ganz dasselbe. Obwohl wir den Papst als Person lieben, lieben wir ihn in erster Linie als Träger des Petrusamtes, als Träger der christlichen Einheit. In dieser Sendung liegt immer eine Art eschatologischer Akzent: Obwohl die Einheit in ihm verkörpert ist, weist er immer über sich selbst hinaus, auf den verherrlichten Christus, der in sich selbst alle eins machen will. Beim Papst zeigt alles weiter. Wir sind nicht so sehr mit seiner Person verbunden. Der Papst hat etwas Sakramentales an sich, das uns inmitten von Kummer und Leid Hoffnung und Freude schenkt. Wir können nicht wirklich trauern, denn wir vertrauen voll und ganz auf die Auferstehung Christi und seinen Sieg. Das ist es, was jeder Papst in allem, was er sagt und tut, uns, dem heiligen Volk Gottes, einflößen will. Wie können wir dann weinen und trauern, als ob wir diese Hoffnung auf die Ewigkeit nicht hätten?
Persönliche Begegnungen
Bei einigen Päpsten sehen wir mehr das Persönliche, bei anderen mehr ihr Amt. Das Besondere an Benedikt XVI. war - zumindest in meinen Augen -, dass seine Person und sein Amt so eng miteinander verwoben waren. Das erste Mal, dass ich ihn persönlich besuchen konnte, werde ich nie vergessen. Es war anlässlich einer öffentlichen Audienz auf dem Petersplatz, an der ich mit unseren Diakonen teilnahm. Wie üblich saßen wir Bischöfe und andere, die das Privileg haben würden, den Papst persönlich zu begrüßen, zusammen und unterhielten uns miteinander. Ich erinnere mich noch, wie ich neben einem brasilianischen Benediktinerabt saß, der mir erzählte, dass Königin Silvia sein Kloster besucht hatte. Als ich an der Reihe war, den Papst zu begrüßen, wusste ich nicht recht, wie ich mich umdrehen sollte, um ihm die Hand zu küssen, denn er stand auf. Als man aufstand, um Johannes Paul II. zu begrüßen, war es viel einfacher: Er saß und man musste nur auf die Knie gehen und seine Hand küssen. Gerade die Art und Weise, wie Benedikt XVI. seine Bischöfe empfing, war für mich ein bezeichnendes Zeichen für seinen Sinn für Kollegialität. Wir waren seine Bischöfe. Er war eins mit uns. Gleichzeitig war seine Vorrangstellung gerade deshalb so klar und überzeugend. Ich weiß nicht mehr genau, was er sagte, außer dass er sich Zeit nahm und sich für Schweden interessierte. Was mich am meisten beeindruckt hat, war seine sanfte, bescheidene, ja fast schüchterne Art, die sehr bewegend war. Das nächste Mal traf ich ihn bei einer Sonderaudienz für uns im Päpstlichen Familienrat, und es war genauso bewegend, als er zu mir sagte: "Wir kennen uns ja schon".
Während der großen und feierlichen Abschlussmesse des Weltjugendtags in Sydney im Juli 2008 saßen wir Bischöfe hinter dem Papst, als er die Messe auf der großen Tribüne der Rennbahn von Randwick feierte. Bei der abschließenden Begrüßung in allen möglichen Sprachen hatte der Ministrant seine Papiere durcheinander gebracht, und dann hörte man ein kleines nervöses Kichern. Zuerst dachte ich, es sei der Ministrant, der vor lauter Entsetzen kicherte - aber dann stellte ich fest, dass es der Papst selbst war. Für mich war dieses kleine päpstliche Kichern immer Teil des Bildes von Benedikt, den manche zu Unrecht als Rottweiler des Glaubens bezeichnet haben. Es zeigt, dass selbst der Nachfolger des Petrus ein wenig verlegen sein kann.
Bedeutung für die Kirche
Über die Bedeutung Benedikts XVI. für die Kirche in einer Zeit, in der sie wie vielleicht nie zuvor von einer schleichenden Aushöhlung der Substanz des Glaubens bedroht ist, wird viel geschrieben werden, und das zu Recht. Mit Scharfsinn und Klarheit konnte er den Relativismus analysieren, der sich in das Innere der Gläubigen einzuschleichen drohte und damit ihre Beziehung zu Gott untergrub. Benedikt wollte keine Autoritätsargumente verwenden, sondern uns sanft, aber mit gutem Grund davon überzeugen, dass wir nur in Christus die Wahrheit finden. Mit zärtlicher, väterlicher Hand hat er versucht, uns durch eine Zeit zu führen, in der deutlicher denn je geworden ist, dass die Kirche keine Massenbewegung ist. Sicherlich war es Gottes Vorsehung, uns einen sanften und klaren Professor zu geben, um uns, dem kleinen Rest von Gläubigen, die noch von ganzem Herzen als Katholiken leben, denken und handeln wollen, zu helfen, sicher durch die Wüste zu gehen, in der wir leben. Wir könnten keinen zärtlicheren und zugleich scharfsinnigeren Hirten haben in der Zeit, in der wir leben.
Obwohl Benedikt durch und durch katholisch war, war er offen für alles und jeden. Und das ist in der Tat das, was so ganz und gar katholisch ist: sowohl heilig zu sein in der Überzeugung, dass Gott seiner heiligen katholischen Kirche die volle Wahrheit des Glaubens anvertraut hat - als auch darauf zu vertrauen, dass eben dieses Geschenk uns befähigt, etwas davon in den Gläubigen anderer Religionen, denen wir begegnen, zu erkennen. Benedikt XVI. hat die Offenheit gegenüber anderen Religionen, die Johannes Paul II. so deutlich hervorgehoben hat und die Papst Franziskus fortführt, sicherlich weitergeführt.
Benedikt und Israel
Eine seiner stärksten Aussagen, die mir im Gedächtnis geblieben ist, betrifft seine Sicht von Israel, das als leidender Knecht des Herrn durch die Geschichte gegangen ist. Denn Benedikt - oder besser gesagt Kardinal Ratzinger, denn er schrieb es schon damals - sagt, dass das Leiden, das das Volk Israel im Laufe der Geschichte ertragen hat, seine Art ist, die Eucharistie zusammen mit dem leidenden Diener des menschgewordenen Gottessohnes zu feiern. Im Messopfer nimmt Christus das ganze Leid seines Volkes auf sich und macht es zu einem Lobopfer für seinen himmlischen Vater. Hier spüren wir, wie der Junge, der einst in die Hitlerjugend hineingezogen wurde, im Gebet und in theologischer Reflexion mit dem Geheimnis menschlichen Leidens und menschlicher Schuld sowie mit der Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Bund gerungen hat und schließlich in der Eucharistie Licht fand, um den tieferen Zusammenhang zu verstehen. In der Eucharistie möchte ich auch Benedikt XVI. und sein ganzes Leben und Werk der unendlichen Barmherzigkeit Gottes übergeben.
Möge er in Frieden ruhen! Möge seine tiefe Einsicht in die Wahrheit des Glaubens uns in unserer Schwäche stärken. Möge seine Bescheidenheit - und sein kleines Kichern - uns in unserer Niedergeschlagenheit aufmuntern und uns trösten, die wir nun um einen lieben Freund trauern, einen emeritierten Papst, der seinem Nachfolger treu zur Seite stand.
Anders Kardinal Arborelius OCD