Londoner Jüdin berichtet über ihr neues Leben in Deutschland

"Ich gehöre nirgendwo richtig hin"

Seit zwei Jahren lebt die gebürtige Londonerin in Berlin. Jetzt hat die Jüdin Maya Lasker-Wallfisch ein Buch über ihr neues Leben in Deutschland geschrieben. "Ich schreibe euch aus Berlin." ist an ihre ermordeten Großeltern adressiert.

Autor/in:
Nina Schmedding
Das Jüdische Museum in Berlin / © Harald Oppitz (KNA)
Das Jüdische Museum in Berlin / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: Frau Lasker-Wallfisch, Ihre Mutter hat als junges Mädchen Auschwitz überlebt, Ihre Großeltern wurden im Holocaust ermordet. Dafür sind Deutsche verantwortlich. Trotzdem sind Sie vor zwei Jahren nach Berlin gezogen. Warum?

Maya Lasker-Wallfisch (Psychotherapeutin und Autorin): Die Idee kam mir, als meine Mutter vor ein paar Jahren am Holocaust-Gedenktag vor dem Bundestag gesprochen hat.

Damals dachte ich: Heute ist das alles sehr bewegend, aber was ist mit morgen? Wie nachhaltig sind solche Gedenktage? Und da wusste ich, dass ich etwas tun muss. Ich schrieb mein erstes Buch, Briefe aus Breslau, über das Leben meiner Großeltern, die im Holocaust ermordet wurden.

Ich fand einen deutschen Verlag und wurde sehr freundlich aufgenommen. Und so verliebte ich mich in die Idee, nach Berlin zu ziehen und hier ein neues Leben zu beginnen.

Maya Lasker-Wallfisch (Psychotherapeutin und Autorin)

"Ich glaube, ich gehöre nirgendwo richtig hin."

KNA: Wie gefällt es Ihnen in Berlin?

Lasker-Wallfisch: Manchmal gefällt es mir sehr gut, und manchmal denke ich, dass ich das Verrückteste getan habe, was man tun kann.

Ich hinterfrage meine Sehnsucht regelmäßig. Ich habe mich selten so britisch gefühlt wie hier - obwohl ich mich in London immer sehr deutsch gefühlt habe. Ich glaube, ich gehöre nirgendwo richtig hin.

KNA: Fühlen Sie sich hier genauso sicher wie in London oder gibt es Situationen, in denen Sie hier in Berlin Angst haben - auch weil Sie Jüdin sind?

Lasker-Wallfisch: Ich bin hier vorsichtig mit der Tatsache, dass ich Jüdin bin, während ich in Großbritannien kaum darüber nachgedacht habe. Hier bin ich mir dessen viel bewusster und auch vorsichtiger.

Davidstern-Anhänger an einer Kette / © LightField Studios (shutterstock)
Davidstern-Anhänger an einer Kette / © LightField Studios ( shutterstock )

Ich achte zum Beispiel immer darauf, dass meine Halskette mit dem Davidstern nicht sichtbar ist, dass sie unter meiner Kleidung ist. In England wäre mir das nie in den Sinn gekommen.

KNA: Das ist ein großer Unterschied.

Lasker-Wallfisch: Ja, das ist es. Es ist für mich auch manchmal schwierig, zwischen unbewusstem Antisemitismus und normaler Berliner Unfreundlichkeit zu unterscheiden. Vielleicht ist es beides. Ich weiß es nicht.

Es gehört zu den kulturellen Missverständnissen, die mich vor allem deshalb interessieren, weil ich dadurch merke, wie deutsch meine Mutter eigentlich ist.

KNA: Inwiefern?

Lasker-Wallfisch: Sie ist so schroff, so direkt in ihrer Reaktion. Briten kommunizieren viel indirekter.

Ich habe mehr als 60 Jahre lang in England gelebt. Daher ist diese Art der deutschen Kommunikation eine große Herausforderung für mich. Manchmal fühle ich mich einfach nicht sehr willkommen.

KNA: Was müsste sich ändern?

Holocaust-Mahnmal / © Jannis Chavakis (KNA)
Holocaust-Mahnmal / © Jannis Chavakis ( KNA )

Lasker-Wallfisch: Ich denke, es wäre die Aufgabe Deutschlands, Menschen wie mich - die freiwillig in das Land ihrer Eltern zurückkehren - aktiv willkommen zu heißen.

Wenn Juden nach Israel zurückgehen, gibt es dort eine Versorgung. Hier gibt es nicht einmal ein Büro, wo man sich beraten lassen kann.

KNA: In Berlin gibt es viele Gedenkstätten, die an den Massenmord an sechs Millionen Juden erinnern. Was halten Sie von der Erinnerungskultur in Deutschland?

Lasker-Wallfisch: Ich finde zum Beispiel das Holocaust-Mahnmal in Mitte zu abstrakt. Im Gegensatz dazu ist der Bahnhof Grunewald, von dem aus 50.000 Berliner Juden deportiert wurden, für mich am bewegendsten. Diese Nähe des Todes zum alltäglichen Leben.

Gedenken am Gleis 17 in Berlin-Grunwald / © Giuseppe Amoruso (shutterstock)
Gedenken am Gleis 17 in Berlin-Grunwald / © Giuseppe Amoruso ( shutterstock )

Als ich zum ersten Mal dort war, war ich schockiert, wie schön es war. Die schönen alten Villen, die offensichtlich immer noch dieselben sind.

Ich habe damals auch jemanden gefragt: Wie konnte man nicht sehen, dass die Juden zum Bahnhof gebracht wurden, um deportiert zu werden?

Die Person antwortete: Die Leute waren in ihren Häusern und haben einfach die Vorhänge zugemacht. Und meine Mutter, die damals dabei war, sagte nur: So war es.

KNA: Wie sehr hat die Tatsache, dass Ihre Mutter den Holocaust überlebt hat, Ihr eigenes Leben, Ihre Kindheit geprägt? Haben Sie jemals mit ihren Eltern darüber gesprochen?

Lasker-Wallfisch: Mein Vater, der rechtzeitig nach Palästina auswandern konnte, hat nie darüber gesprochen, wie das war, abgesehen davon, dass er in Palästina sehr unglücklich war, weil er seiner familiären deutschen Kultur entfremdet war.

Maya Lasker-Wallfisch (Psychotherapeutin und Autorin)

"Mit meinem Leben in Deutschland möchte ich persönlich etwas zur Aufarbeitung beitragen"

Meine Mutter fing nach seinem Tod vor 30 Jahren an, ein wenig öffentlich darüber zu sprechen. Und dann habe ich erst gemerkt, wie wenig ich wusste, dass es vieles gab, worüber wir vorher nicht gesprochen haben.

Es gab keinen offenen Dialog darüber, was geschehen war und warum die Dinge so waren, wie sie waren.

Das war die Art meiner Mutter, mich zu schützen. Diese Motivation war ehrenwert, aber sie hat mir sicherlich geschadet. Es gibt natürlich keinen richtigen Weg in einer solchen Situation, aber auf diese Weise war ich als Kind völlig verwirrt.

Ich fühlte mich wie eine Außerirdische, völlig anders als die anderen in der Gruppe. Und ich wusste nicht, warum das so war.

KNA: Sie sind Psychotherapeutin: Wäre Reden der bessere Weg gewesen?

Lasker-Wallfisch: Ich denke, dass es natürlich sehr wichtig ist, über Dinge zu reden, aber ich weiß auch aus eigener Erfahrung und aus der Erfahrung anderer, dass Reden manchmal sehr traumatisierend sein kann.

Und dann: Sprache ist begrenzt. Wahrscheinlich ist es am heilsamsten, sich mit der kollektiven Erfahrung zu verbinden - mit dem Gefühl des Schreckens oder des Andersseins. Mit der unterschiedlichen, aber irgendwie gemeinsamen Erfahrung, in einer solchen Familie aufzuwachsen.

Anita Lasker-Wallfisch / © Henning Schoon (KNA)
Anita Lasker-Wallfisch / © Henning Schoon ( KNA )

Und ich denke, das gilt auch für die zweite Generation von Tätern. Sie sind genauso traumatisiert, wenn nicht sogar noch mehr.

Mit meinem Leben in Deutschland möchte ich persönlich etwas zur Aufarbeitung beitragen, mit meiner ganz besonderen Erfahrung, die ich mitbringe. Es geht mir darum, die Arbeit meiner Mutter fortzuführen:

Das Gedenken lebendig zu halten. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass Deutschland daran nicht sehr interessiert ist.

Maya Lasker-Wallfisch (Psychotherapeutin und Autorin)

"Man muss keine Angst haben, mir Fragen zu stellen."

KNA: Vielleicht haben viele Menschen hier Angst, Fragen zu stellen?

Lasker-Wallfisch: Man muss keine Angst haben, mir Fragen zu stellen. Ich freue mich über Fragen. Ich finde es eher besorgniserregend, wenn keine Fragen gestellt werden.

Das Problem ist aber vielleicht auch, dass ich erst wenig Deutsch spreche, obwohl ich es wirklich gern will. Ich habe vielleicht eine psychische Blockade.

KNA: Wie meinen Sie das?

Lasker-Wallfisch: Meine Mutter und mein Vater haben untereinander Deutsch gesprochen, aber niemals mit mir und meinem Bruder. Ich habe dadurch unbewusst verstanden, dass da etwas Schlimmes war, das irgendwie mit Deutsch und Deutschland zu tun hat. Und vielleicht fällt mir die Sprache deshalb jetzt so schwer.

KNA: Was hat Ihre Mutter gesagt, als Sie ihr von Ihrem Entschluss, nach Berlin zu ziehen, berichtet haben?

Das Jüdische Museum in Berlin / © WorldWide (shutterstock)
Das Jüdische Museum in Berlin / © WorldWide ( shutterstock )

Lasker-Wallfisch: Sie hat mir ihren Segen gegeben. Sie wollte immer, dass ich glücklich bin, wie es sich alle Eltern für ihre Kinder wünschen. Im Februar kommt sie nach Deutschland, um mit mir zusammen im Jüdischen Museum mein Buch vorzustellen.

Ich hoffe, dass meine Mutter das schafft. Sie ist jetzt schon sehr alt. Es wäre das erste Mal seit Corona, dass sie wieder in ein Flugzeug steigt. Und es wäre das erste Mal, dass sie mich in Berlin besucht.

Ich bin deswegen sehr nervös, ich hoffe, es gelingt alles und dass viele Menschen kommen, um meine Mutter zu ehren und ihr zuzuhören. Es ist vielleicht die letzte Gelegenheit.

Das Interview führte Nina Schmedding.                                       

Quelle:
KNA