Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hoffe weiter auf eine friedliche Lösung des nahezu ein Jahr lang tobenden Konflikts durch Dialog, sagte der 1965 in Südafrika geborene reformierte Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Einen Ausschluss der Russisch Orthodoxen Kirche aus dem Dachverband von weltweit über 580 Millionen Christen wollte er jedoch nicht ausschließen, es könne unter Umständen "dazu kommen", so Pillay, der seit 1. Januar an der Spitze des ÖRK steht.
epd: Generalsekretär Pillay, kann der Ökumenische Rat der Kirchen zu einem Ende des Ukraine-Krieges beitragen?
Jerry Pillay: Der Weltkirchenrat setzt sich seit Februar vergangenen Jahres für ein Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ein. Keine Seite gewinnt an einem Krieg, unter dem vor allem die normale Bevölkerung leidet. Daher engagiert sich der ÖRK für einen gerechten Frieden.
epd: Wie kann der ÖRK dazu beitragen, eine friedliche Lösung zu finden?
Pillay: Auf der Suche nach einem gerechten Frieden wollen wir den Dialog zwischen den Konfliktparteien fördern. Der beste Weg dafür ist, unterschiedliche Menschen und verschiedene Parteien an einen Tisch zu bringen. Wir wollen damit Wege zu einer Konfliktlösung unterstützen. Wir sind aber keine politische Gruppe, sondern Christen auf der Suche nach Frieden in der Welt.
Wir beten für Frieden in der Ukraine. Aber Gebete ohne Taten und entsprechende Handlungen reichen nicht. Ich glaube fest daran, dass religiöse Führer in diesen schwierigen politischen Zeiten zu Lösungen beitragen können, wenn sie zusammenarbeiten. Die Suche nach einem gerechten Frieden ist etwas, wozu wir Christen von Gott beauftragt sind.
epd: Wie helfen Sie den Menschen konkret?
Pillay: Wir werden zudem fortfahren, an den Kriegsfolgen leidende Menschen und ihre Angehörigen zu unterstützen. Wir tun das als Weltkirchenrat mit den uns angeschlossenen Hilfswerken, wie dem internationalen kirchlichen Netzwerk ACT Alliance zum Beispiel, einem der größten Bündnisse für humanitäre Arbeit und Entwicklungshilfe.
epd: Unterstützen Sie Waffenlieferungen an die Ukraine?
Pillay: Die Menschen in der Ukraine müssen sich gegen den Aggressor verteidigen. Der Ruf nach mehr Waffen ist ein Hilferuf für mehr Beistand gegen die russische militärische Invasion. Das Land hat natürlich das Recht auf Verteidigung. Wir als Weltkirchenrat bevorzugen aber Wege zu einer friedlichen Lösung. Das hängt natürlich auch von den Russen ab und ihrer Bereitschaft, sich auf Friedensgespräche einzulassen.
epd: Der Moskauer Patriarch Kyrill I. rechtfertigt seit fast einem Jahr diesen grausamen Krieg. Das ist doch unglaublich, dass ein kirchliches Oberhaupt so etwas tut. Wie reagiert der ÖRK darauf?
Pillay: Der Weltkirchenrat hat dazu eine sehr eindeutige Haltung, vor allem nach der 11. ÖRK-Vollversammlung im September vergangenen Jahres in Karlsruhe. Wir haben sehr klargemacht, dass wir Krieg in jeder Form verurteilen. Wir können den Standpunkt des Patriarchen in dieser Angelegenheit nicht nachvollziehen. Der frühere ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca machte gegenüber der Leitung der Russischen Orthodoxen Kirche die Position des Weltkirchenrates sehr deutlich. Wir engagieren uns an dieser Stelle und werden dies auch weiterhin tun.
Wir werden auch weiterhin versuchen, auf den Moskauer Patriarchen Kyrill und den Rest der Russischen Orthodoxen Kirche einzuwirken, um eine friedliche Lösung in diesem Konflikt zu finden. Statt die militärische Aggression Russlands zu rechtfertigen, muss die orthodoxe Kirche sich daran beteiligen, eine friedvolle Lösung in dem Konflikt zu finden.
epd: Ist das nicht etwas blauäugig?
Pillay: Wir werden nicht aufhören, von Gerechtigkeit zu sprechen.
Wenn die Russische Orthodoxe Kirche an ihrer Position mit Blick auf den Ukraine-Krieg festhält, werden wir dazu nicht schweigen. Wir werden sie immer wieder dazu aufrufen, ihre Position in dieser Angelegenheit zu ändern.
epd: Sehen Sie in der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) Anzeichen dafür, sich auf eine friedliche Lösung im Ukraine-Konflikt einzulassen? Oder ist deren Position unverrückbar?
Pillay: In Gesprächen mit der Leitung der Russischen Orthodoxen Kirche wurde deutlich, dass man dort den Krieg keinesfalls unterstützt. Dort verurteilt man den Krieg genauso, wie wir das tun.
Wir sehen auch die Schwierigkeit für eine Nationalkirche in diesem Land in dieser Zeit. Für die Orthodoxen ist es sehr schwierig, eine andere Position einzunehmen, als sie es im Moment tun. Leider ist es so, wie es ist. Aber wir beobachten, dass es auf russischer Seite eine Bereitschaft zum Dialog gibt. Sie wollen den Dialog mit anderen Kirchen in der Welt fortsetzen und bitten zugleich um Verständnis für ihren Kontext. Deshalb ist der Dialog gerade jetzt so entscheidend.
epd: Könnte es dennoch eine Entwicklung geben, damit Sie sagen: "Genug ist genug, wir müssen die ROK aus dem ÖRK ausschließen"?
Pillay: Auf der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe ist dies von verschiedenen Seiten ja verlangt worden. Auch jetzt üben einige ÖRK-Mitgliedskirchen entsprechenden Druck auf uns aus, die ROK aus dem ÖRK auszuschließen oder deren Mitgliedschaft zu suspendieren. Die Vollversammlung hat sich für eine Fortsetzung des Dialogs ausgesprochen, solange es möglich ist. Diese Haltung setzt der Weltkirchenrat zurzeit um. Aber das schließt nicht aus, dass wir drastischere Maßnahmen ergreifen, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten. Dann wird der Weltkirchenrat angemessen reagieren.
epd: Das heißt, am Ende könnte es eine Aussetzung der Mitgliedschaft der ROK geben?
Pillay: Nun, wenn es dazu kommt, kann es dazu kommen. Aber wie ich schon sagte, sind wir noch nicht so weit. Zum jetzigen Zeitpunkt werden wir den Dialog fortsetzen.