Sozialforschende haben Missbrauchsfälle im Bistum Essen aufgearbeitet. Ihnen geht es um die Strukturen, die Taten begünstigten. Zwei Bischöfe haben bereits Fehler eingeräumt.
Wieder wird es um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gehen. Wieder werden Betroffene Schmerz und Wut zum Ausdruck bringen, Kirchenvertreter ihre Betroffenheit ausdrücken und Bischöfe ihren eigenen Umgang mit beschuldigten Priestern erklären müssen. Am 14. Februar stellt ein sozialwissenschaftliches Team aus München seine Missbrauchsstudie für das Bistum Essen vor.
Sechs Fälle greifen die Forschenden des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) darin beispielhaft heraus - darunter die der Priester A. und H., beide verurteilte Sexualstraftäter. Der aus dem Erzbistum Köln stammende A. konnte, obwohl er wegen sexueller Handlungen an Kindern zweimal verurteilt wurde, immer weiter in der Seelsorge arbeiten. Nach seiner ersten Verurteilung wechselte er ins Bistum Münster, nach der zweiten ging er zurück ins Erzbistum Köln.
Die fragwürdige Versetzungspraxis haben bereits verstorbene Bischöfe in Köln und Münster zu verantworten.
Aber auch der aktuelle Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck (58) und sein Vorgänger Felix Genn (72), heute Bischof in Münster, haben Fehler im Umgang mit A. eingeräumt. Dieser verbrachte seinen Ruhestand im Bistum Essen und half dort in der Seelsorge aus: Von 2002 bis 2015 war er in Bochum-Wattenscheid tätig - zunächst unter Genn und dann unter Overbeck. Erst 2019 verbot ihm der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki priesterliche Dienste. Mittlerweile ist A. aus dem Klerikerstand entlassen.
Als die Vorgänge rund um den Priester vor rund drei Jahren medial Wellen schlugen, bat Genn um Entschuldigung. Er frage sich, warum er den Fall nicht wahrgenommen habe und kritisierte den "Apparat", ihn nicht informiert zu haben. "Ich bin verärgert darüber", sagte Genn.
Sein Nachfolger Overbeck beauftragte 2020 ein Rechtsgutachten zu A., das den Verantwortlichen deutliche Fehler bescheinigt. "Ich habe Schuld auf mich geladen", erklärte der Ruhrbischof. Als er 2010 kurz nach seinem Amtsantritt in Essen von dem Fall erfahren habe, habe er sich nicht die Personalakte kommen lasen. "Sonst hätte ich die Dimension des Falls vielleicht gesehen."
Noch bekannter als der Fall A. ist der Fall H., in den der vor Kurzem verstorbene Papst Benedikt XVI. verwickelt ist, vormals Erzbischof von München und Freising. In der bayerischen Erzdiözese soll H. - wie zuvor schon in seinem Heimatbistum Essen - Missbrauchstaten begangen haben. Obwohl er 1986 eine Gefängnisstrafe auf Bewährung erhielt, wurde er weiter in Gemeinden eingesetzt, bis ihn Overbeck 2010 in den Ruhestand schickte und ihm die priesterlichen Dienste untersagte.
Mittlerweile ist auch H. aus dem Klerikerstand entlassen. Benedikt bestritt bis zu seinem Tod, von der Vorgeschichte des Geistlichen gewusst zu haben, als dieser 1980 nach München kam.
Auch Overbeck stand in der Sache H. in der Kritik. Er habe eine sofortige Entlassung aus dem Klerikerstand per Verwaltungsakt gewollt, um wenig Aufsehen zu erregen, lautete der Vorwurf. Der Bischof verteidigte sein Vorgehen: Er habe den Fall vollständig aufklären und Sanktionen herbeiführen wollen.
Die kirchenrechtliche und juristische Perspektive wird in der Essener Studie - anders als in anderen Diözesen - eine untergeordnete Rolle spielen. Die sozialwissenschaftlich angelegte IPP-Untersuchung beleuchtet vor allem die systemischen Bedingungen, die Missbrauch im Ruhrbistum von seiner Gründung 1958 bis heute begünstigten. "Ein spezifischer Fokus ist dabei auf die besondere Dynamik in Pfarrgemeinden gerichtet, in denen die Taten möglich wurden", so das Institut. Es wird also auch um die Verantwortung von Gemeindemitgliedern gehen, die von Taten wussten oder wenigstens etwas ahnten.
Begleitet wurde die Arbeit von zwei Betroffenen, die am 14. Februar zu Wort kommen werden. Auch Overbeck will eine Stellungnahme abgeben.
Ob die Studie noch unbekanntes, mögliches Fehlverhalten der früheren Essener Bischöfe Franz Hengsbach (Amtszeit: 1958-1991) und Hubert Luthe (1992-2002) sowie von Genn und Overbeck aufdeckt, bleibt abzuwarten. Die Namen von Bischöfen sollen genannt werden. (kna, 06.02.2023)