Jesuiten-Provinzial kritisiert Kyrills Kriegsunterstützung

"Religion wird sträflich missbraucht"

Fast ein Jahr dauert der Angriffskrieg gegen die Ukraine bereits. Bernhard Bürgler, der Provinzial der zentraleuropäischen Jesuiten war gerade vor Ort und zeigt sich bewegt, nicht nur von der Lage in der Ukraine.

Kyrill I., Patriarch von Moskau und ganz Russland / © Robert Duncan (KNA)
Kyrill I., Patriarch von Moskau und ganz Russland / © Robert Duncan ( KNA )

DOMRADIO.DE: Eine Reise in die Ukraine ist nicht ohne. Mit welchen Gefühlen sind Sie gestartet?

Pater Bernhard Bürgler SJ (Provinzial der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten): Ich bin schon mit einer gewissen Spannung gestartet. Aber natürlich auch neugierig, interessiert. Ich hatte vorher regelmäßigen Kontakt mit den Mitbrüdern in Polen, die ja Kontakt zur Ukraine haben, auch mit den Mitbrüdern in Lemberg/Lwiw. Und die haben mir gesagt: Es ist riskierbar, man kann kommen. Ich bin mit großer Spannung, auch positiver Spannung dorthin gefahren.

DOMRADIO.DE: Mit Ihrem Besuch wollten Sie die Solidarität mit den Menschen und Ihren Mitbrüdern in der Ukraine bekunden. Inwiefern können die Jesuiten vor Ort helfen?

Pater Bernhard Bürgler / © SJ-Bild (Jesuiten)
Pater Bernhard Bürgler / © SJ-Bild ( Jesuiten )

P. Bürgler: Ich denke, eine ganz große Hilfe für die Menschen vor Ort ist, dass die Jesuiten überhaupt da sind und da bleiben. Das nehmen auch die Menschen sehr positiv wahr, mit denen ich geredet habe. Dann gibt es durch den JRS, den Jesuit Refugee Service (dt. Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Anm. d. Red.), ganz konkrete Hilfe.

Es gibt zwei Flüchtlingshäuser in Lemberg, eines in der Nähe von Lemberg, wo ganz konkret geflüchtete Menschen untergebracht sind, wo ihnen geholfen wird, wo sie Unterstützung jeglicher Art bekommen. Und durch den Kontakt zur weltweiten Gesellschaft Jesu (Jesuitenorden, Anm. d. Red.) gibt es natürlich auch eine Reihe von Unterstützung, die die Mitbrüder vor Ort dann ausführen können.

DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihren Mitbrüdern? Denn eigentlich läuft ja das Leben in Lwiw/Lemberg relativ normal.

P. Bürgler: Als ich dort war, war das Leben relativ normal. Es gibt natürlich immer wieder Alarm, aber sonst ist wenig spürbar. Natürlich sieht man Militär in der Stadt. Wir waren auch bei einer Beerdigung von vier jungen Soldaten dabei.

Die Mitbrüder finden das eine wichtige Mission, dass sie da sind, um das Volk, um ihre Mitmenschen zu unterstützen. Es geht ihnen soweit gut. Natürlich ist auch bei ihnen eine gewisse Spannung auch auf Zukunft hin spürbar: Wie geht das weiter? Wo führt das hin?

DOMRADIO.DE: Militärexperten sprechen ja von einem Ermüdungskrieg, einem Abnutzungskrieg, hohe Verluste auf beiden Seiten, verhärtete Fronten, wenig Perspektive. Wie haben Sie die Bevölkerung in der Ukraine erlebt, wie halten die Menschen das aus?

P. Bürgler: In der Bevölkerung ist ein sehr großer Wille spürbar, sich zu verteidigen. Es ist eine sehr große Opferbereitschaft spürbar. Die Mitbrüder sagten uns, dass es für die Mehrheit der Bevölkerung eigentlich nur den Sieg gibt, sich als freie Nation zu verteidigen und weiter zu leben. Das ist bei den Menschen sehr spürbar. Das ist irgendwie auch beeindruckend, finde ich, angesichts dieser ja nicht leichten Situation.

Pater Bernhard Bürgler SJ (Provinzial der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten)

"Es ist eine sehr große Opferbereitschaft spürbar."

Ansonsten liegt eine Schwere über der Stadt und über der Bevölkerung. Und eine gewisse Perspektivlosigkeit natürlich gleichzeitig: Wie geht es weiter? Wo führt das hin? Wie endet das?

DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihnen als Jesuit damit, dass die russisch-orthodoxe Kirche, dass Kyrill als Oberhaupt diesen Krieg protegiert?

P. Bürgler: Mir geht es damit sehr, sehr schlecht. Ich kann das irgendwie nicht verstehen. Ich kann das auch nicht akzeptieren. Ich denke, dass Religion und noch dazu christliche Religion eine andere Aufgabe hätte. Nicht die Aufgabe, einen Aggressor zu verteidigen oder auf seiner Seite zu stellen, ihn zu unterstützen. Religion wird damit meines Erachtens missbraucht, sträflich missbraucht. Und das liegt auch schwer auf der Ökumene.

DOMRADIO.DE: Was hat Sie auf Ihrer Reise in die Ukraine denn am meisten bewegt?

P. Bürgler: Mich haben zwei Dinge bewegt, zwei ganz konkrete Erlebnisse. Wir waren in Lemberg, in der alten Jesuitenkirche. Die ist jetzt eine Militärkirche. Dort gab es wie gesagt eine Beerdigung von vier jungen Soldaten. Die Särge sind in die Kirche getragen worden. Viele Leute, Angehörige waren dabei. Zwei Straßen weiter sahen wir zehn oder 15 Busse, bei ihnen eine Menge von Soldaten. Ich fragte: Was ist da los? Und die Mitbrüder sagten mir: Diese jungen Männer fahren jetzt an die Front. Beides so eng nebeneinander zu sehen, hat mich sehr, sehr berührt. Ich hatte richtig Gänsehaut.

Ein zweites Erlebnis war in einer Flüchtlingsunterkunft des Jesuit Refugee Service. Da hat uns die Leiterin kleine Wollpüppchen gezeigt und als Geschenk mitgegeben. Sie hat uns erzählt, dass Kinder sie machen und während sie knüpfen, beten sie für ihre Väter, für ihre Onkel, für die Familien, für das Volk. Auch das hat mich sehr, sehr berührt.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Jesuitenorden

Die Jesuiten sind die größte männliche Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche. Gründer der "Gesellschaft Jesu", so die offizielle Bezeichnung in Anlehnung an den lateinischen Namen "Societas Jesu" (SJ), ist der Spanier Ignatius von Loyola (1491-1556).

Jesuiten sind keine Mönche; sie führen kein Klosterleben und tragen keine Ordenskleidung. Neben Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam verpflichten sie sich in einem vierten Gelübde zu besonderem Gehorsam gegenüber dem Papst. Zudem legen sie ein Zusatzversprechen ab, nicht nach kirchlichen Ämtern zu streben.

Iesum Habemus Socium ("Wir haben Jesus als Gefährten") - das Emblem der Jesuiten / © Markian Pankiv (shutterstock)
Iesum Habemus Socium ("Wir haben Jesus als Gefährten") - das Emblem der Jesuiten / © Markian Pankiv ( shutterstock )
Quelle:
DR