"Priester oder geistliche Begleitende können durch ihre Autorität Menschen missbrauchen, wenn sie über die spirituelle Selbstbestimmung des Menschen hinweggehen und Fügsamkeit und Gehorsam verlangen", sagte Bernhard Deister (53) am Mittwoch in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Erschütterung in der Beziehung zu Gott
Die Folgen spiritueller Gewalt lägen für Betroffene nicht nur in einer zwischenmenschlichen Enttäuschung, sondern oft auch in einer "Erschütterung in der je eigenen Beziehung zu Gott und zur Kirche". Das könne "so weit gehen, dass Menschen ihren Glauben verlieren", so der Theologe.
Wo Menschen sich anderen anvertrauten, könne Vertrauen missbraucht werden. "Wenn die spirituelle Selbstbestimmung eines Menschen verletzt wird, ist das geistlicher Missbrauch", sagte Deister.
Wunden heilen nicht durch Austritt
Für manche Betroffene sei der Kirchenaustritt die logische Folge, "wobei die Wunden auch dann bleiben". Viele kämen innerlich nicht zur Ruhe. Eine besonders perfide Folge drücke sich darin aus, dass Betroffene sagten: "Das, was mir das Kostbarste war - mein christlicher Glaube -, ist mir vergiftet worden." Ihr Herzensthema sei beschädigt worden.
Er selbst biete Betroffenen zunächst einen geschützten Rahmen für Gespräche an. "Wir ermutigen, der eigenen Wahrnehmung wieder zu trauen und die 'vergifteten' Begriffe von Ballast zu befreien", sagte Deister.
Zur Frage, ob spirituelle Gewalt stets sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche vorausgehe, sagte Deister: "Sexualisierte Gewalt setzt ein Abhängigkeitsverhältnis voraus. Und wo Gewalt im Raum von Kirche geschieht, ist das stets auch ein Missbrauch spirituellen Vertrauens."