Käßmann hält Waffenlieferungen in die Ukraine für falsch

Keine Ponyhof-Theologie

Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Margot Käßmann setzt sich für Verhandlungslösungen im Ukraine-Krieg ein und fordert Waffenlieferungen einzustellen. Dafür wird sie scharf kritisiert.

Margot Käßmann 2021 in Hannover / © Julian Stratenschulte (dpa)
Margot Käßmann 2021 in Hannover / © Julian Stratenschulte ( dpa )

DOMRADIO.DE: Waffenlieferungen für die Ukraine: ja oder nein? Diese Frage teilt die Welt und polarisiert. Sie sagen dazu klar "Nein“. Wie sehr werden Sie dabei von denen, die eine andere Meinung haben, persönlich angegriffen?

Professorin Dr. Dr. Margot Käßmann (Theologin, Pfarrerin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland): Ich habe den Eindruck, dass die Diffamierung von Pazifisten oder Gegnerinnen und Gegnern von Waffenlieferungen im Moment massiv ist. Ich respektiere, dass es in unserem Land verschiedene Auffassungen gibt. Ich habe auch Respekt vor denen, die sagen, es ist notwendig, dass wir Waffen liefern, um der Selbstverteidigung willen.

Aber diejenigen, die das in Frage stellen und sagen, Deutschland hatte immer den Grundsatz, keine Waffen in Krisen oder Kriegsgebiete zu liefern, die werden dann als Lumpen-Pazifisten, Sofa-Pazifisten oder im kirchlichen Bereich als Vertreterin einer Ponyhof-Theologie bezeichnet. Das ist kein guter Diskurs, wie ich finde.

DOMRADIO.DE: Jetzt gab es zuletzt ein Zeitungsinterview. Die evangelische Regionalbischöfin in Hannover, Petra Bahr, hat das "Manifest für Frieden", das Sie unterschrieben haben, als "Manifest der Unterwerfung" bezeichnet. Was sagen Sie dazu?

Käßmann: Ich habe mit Petra Bahr in dieser Zeit diskutiert und wir haben versucht, mit dem nötigen Respekt, den es zumindest unter Christenmenschen geben sollte, die gegenseitigen Positionen auszutauschen. Ich sehe es nicht als Manifest der Unterwerfung, das habe ich klar gesagt, weil in dem Manifest auch sehr klar steht, dass die brutal von Russland überfallenen ukrainischen Menschen unsere Solidarität brauchen.

Die Forderung kann von uns doch nicht an Herrn Putin gehen, sondern bei uns doch nur an unseren eigenen Regierungschef, Bundeskanzler Scholz. Ihn bitten wir, nicht mit Waffenlieferungen zu reagieren, sondern mit allen diplomatischen Mitteln, die es auf der ganzen Welt gibt, um erst einmal einen Waffenstillstand, auch um der Menschen in der Ukraine willen, zustande zu bringen.

DOMRADIO.DE: Wenn wir nun auf Putins Rede an die Nation zurückblicken, war das eine klare Absage an diplomatische Lösungen. Er hat Russland auf einen lange währenden Krieg eingeschworen und dem Westen die Schuld für den Krieg gegeben. Warum sind Sie trotzdem weiterhin von einer diplomatischen Lösung überzeugt?

Professorin Dr. Dr. Margot Käßmann (Theologin, Pfarrerin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland)

"Der Widerstand gegen den Krieg. Das können wir sehen. Wir haben jetzt mehr als 100.000 tote russische Soldaten, deren Familien sich fragen, wofür sind diese jungen Männer überhaupt gestorben, für welchen Wahnsinn?"

Käßmann: Erst einmal, dass Herr Putin die Tatsachen und die Täter/Opfer-Realität völlig verdreht und Lügen in die Welt setzt und ein wirklicher Diktator ist, der Menschenrechte verachtend die Ukraine mit Krieg überzieht, das ist für mich keine Frage. Aber ich denke, dass auch Wladimir Putin zwei Punkte hat.

Das eine ist, dass in der russischen Bevölkerung der Widerstand gegen den Krieg wächst. Das können wir sehen. Wir haben jetzt mehr als 100.000 tote russische Soldaten, deren Familien sich fragen, wofür diese jungen Männer überhaupt gestorben sind, für welchen Wahnsinn?

Ich höre auch immer wieder, dass es inzwischen auch Widerstand in den Kirchen gegen Patriarch Kyrill gibt, der ganz klar auf der Seite Wladimir Putins steht und das zu einem Krieg gegen westlichen Verfall erklärt. Ich hoffe auf die russische Zivilbevölkerung auf der einen Seite und auf der anderen Seite auf den Druck, der von denjenigen ausgeht, die sich noch als so genannte "Verbündete" von Russland sehen, China zum Beispiel. Auch Präsident Lula aus Brasilien hat klar erklärt, dass er bereit wäre zu vermitteln. Ich hoffe, dass es diese Möglichkeiten gibt.

Aber wissen Sie, ich bin so wenig eine Verhandlungsexpertin in der UN, wie die Waffenbefürworter Generäle sind, die Kriegsstrategen sind. Wir können nur unsere Meinung äußern, dass immer mehr Waffen den Krieg verschärfen, verlängern, ausweiten und dass die Angst vor einem Atomkrieg auch nicht vollkommen unbegründet ist.

DOMRADIO.DE: Wenn man der Ukraine keine Waffen mehr liefert, dann wird der Krieg irgendwann automatisch enden, weil man sich nicht mehr verteidigen kann. Putin würde gewinnen, die Ukraine vielleicht übernehmen. Und dann?

Käßmann: Gleichzeitig müssen wir sagen, wenn der Krieg immer weitergeht. Was ist da die Alternative? Ich bin nicht dafür, dass die Ukraine sich einfach unterwirft, sondern ich bin für einen Waffenstillstand und anschließende Verhandlungen. Dann werden diejenigen, die verhandeln, sehen müssen, was das Verhandlungsergebnis ist. Das kann niemand vorwegnehmen.

Professorin Dr. Dr. Margot Käßmann (Theologin, Pfarrerin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland)

"Was passiert, wenn der Krieg ständig verlängert wird? Jetzt wird gesagt, es muss ein Sieg der Ukraine her. Aber um welchen Preis? Ich finde, das dürfen wir fragen, auch als Deutsche."

Aber was passiert, wenn der Krieg ständig verlängert wird? Jetzt wird gesagt, es muss ein Sieg der Ukraine her. Aber um welchen Preis? Ich finde, das dürfen wir fragen, auch als Deutsche, wenn wir Waffen liefern – das hat der Philosoph Jürgen Habermas sehr schön dargestellt –, sind wir auch mitverantwortlich für die Toten. Da können wir uns nicht einfach herausstehlen.

DOMRADIO.DE: Wenn wir die diplomatische Lösung anstreben, wenn wir Gespräche führen, wenn wir den Krieg beenden können, inwieweit muss, soll, darf so etwas wie die Massaker in Butscha, Kriegsverbrechen, die seitens der russischen Angreifer ausgeführt wurden, inwieweit müssen die bei einer solchen diplomatischen Lösung eine Rolle spielen?

Käßmann: Da sind wir – Gott sei Dank kann man sagen – weiter als in früheren Zeiten. Auch nach dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien wurden Kriegsverbrecher in Den Haag verurteilt und ich denke, Kriegsverbrechen müssen aufgearbeitet werden. Das Schreckliche am Krieg ist ja auch, dass die einzelnen Verbrechen selten aufgeklärt werden. Aber durch die intensive Dokumentation der Gräueltaten ist es in diesem Fall wahrscheinlich möglich. Dass wir inzwischen einen Internationalen Gerichtshof haben, macht mir auch Hoffnung.

DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es einen Vergleich, der ein bisschen hinkt, aber vielleicht trotzdem mal herangezogen werden soll. Es ist der Vergleich zwischen Deutschland 1939 bis 45 und dem russischen Angriff heute. Es heißt, wenn die Alliierten von den USA bis zur Sowjetunion damals nicht so entschieden gegen das Deutsche Reich vorgegangen wären, dann hätten die Nazis den Zweiten Weltkrieg möglicherweise gewonnen. Kann das ein Argument dafür sein, dass man Aggressoren nicht entgegenkommen darf?

Käßmann: Ich finde das immer so hypothetisch, dass dann der Vergleich zum Zweiten Weltkrieg genommen wird. Wir könnten auch andere Kriege zum Vergleich nehmen. Nehmen wir mal Syrien, da haben wir seit zwölf Jahren Krieg und der geht immer weiter und keiner bemüht sich wirklich um Waffenstillstand. Im Jemen tobt jetzt seit neun Jahren Krieg und Menschen stehen da zu Hunderttausenden vor dem Hungertod.

Professorin Dr. Dr. Margot Käßmann (Theologin, Pfarrerin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland)

"Krieg zu beenden muss doch das allererste Ziel sein, die Kriege auf der ganzen Welt. Stattdessen investieren wir in noch mehr Rüstung und Hochrüstung. Für mich ist das keine Zukunftsperspektive."

Krieg zu beenden muss doch das allererste Ziel sein, die Kriege auf der ganzen Welt. Stattdessen investieren wir in noch mehr Rüstung und Hochrüstung. Für mich ist das keine Zukunftsperspektive. Kriege müssen beendet werden, und zwar so schnell wie möglich.

DOMRADIO.DE: Was glauben Sie, wie geht es in den nächsten Wochen und Monaten weiter?

Käßmann: Meine Befürchtung ist – und das finde ich ziemlich deprimierend –, dass dieser Krieg sich sehr, sehr lange in die Länge ziehen wird und immer mehr Waffen geliefert werden und ein Ende nicht wirklich in Sicht ist.

Aber ich bin Christin. Ich finde, es gibt Hoffnung. Der Prophet Micha sagt: "Eines Tages werden sie nicht mehr lernen, Krieg zu führen." Deshalb will ich die Hoffnung nicht aufgeben und deshalb werde ich morgen in Bonn und Köln auch sprechen und sagen, dass wir Waffen tatsächlich auch zum Schweigen bringen können.

Das Interview führte Florian Helbig.

"Entrüstet euch!" von Margot Käßmann und Konstantin Wecker

"In einer Zeit, in der Pazifismus belächelt und verspottet wird, ist uns wichtig, dass Menschen verschiedenster Herkunft und Motivation sich wieder zusammentun. Frieden ist keine Illusion, Frieden ist machbar. Wir können uns ent-rüsten!" Die Texte, die wir für dieses Buch zusammengestellt haben zeigen, welche Kraft ein gewaltloses Handeln haben kann – und sie spiegeln auch die Hoffnung, dass die Stimme des Pazifismus’ wieder hörbarer wird.“ - Margot Käßmann und Konstantin Wecker

Quelle: margotkaessmann.de

Friedensdemo zum Ukraine-Krieg / © Patrick Pleul (dpa)
Friedensdemo zum Ukraine-Krieg / © Patrick Pleul ( dpa )
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DR