Die Studie sei aufschlussreich, um die jeweiligen Einflussmöglichkeiten auf Maßnahmen zur Aufdeckung der Tat, zur Bestrafung der Täter und zur Prävention zu betrachten, erklärte die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, am Freitag in Berlin.
Sie sowie der religionspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, mahnten zugleich eine stärkere staatliche Beteiligung an der Aufarbeitung an.
Frühere Bischöfe in der Kritik
In Mainz wurde am Freitag das Missbrauchsgutachten des Bistums vorgestellt. Es trägt den Titel "Erfahren. Verstehen. Vorsorgen" (EVV) und untersucht nach Angaben der Autoren kirchlichen Gewalttaten vor allem systemisch.
Die Studie bescheinigt den drei früheren Bischöfen Albert Stohr (1935-1961), Hermann Volk (1962-1982) und Karl Lehmann (1983-2016) einen verheerenden Umgang mit sexuellem Missbrauch. Dem amtierenden Bischof Peter Kohlgraf sprechen die Studienautoren Ulrich Weber und Johannes Baumeister die Bereitschaft zu, lernen und aufarbeiten zu wollen.
Claus betonte auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), staatliche Verantwortungsübernahme brauche eine strukturelle Verbindlichkeit und die Möglichkeit, die Institutionen und die Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen. Betroffene hätten ein Recht auf individuelle Aufarbeitung.
Dunkelfeld groß
Castellucci erklärte, das Gutachten bestätige sowohl die bisher bekannten Dimensionen sexualisierter Gewalt im Rahmen der Kirchen als auch den mangelhaften Umgang damit. Insbesondere das jahrzehntelange fehlende Interesse an den Betroffenen und dem ihnen zugefügten Leid sei erschreckend. Auch das Dunkelfeld sei groß und noch nicht ausreichend erforscht, die Aufklärung müsse deshalb dringend weitergehen.
Erneut bezeichnete er die "Gemeinsame Erklärung", zu der sich die Bischofskonferenz vor drei Jahren verpflichtet hat und die unter anderem das Einsätzen von Aufarbeitungskommissionen und Betroffenenräten beinhaltet, als unzureichend. Sie enthalte entscheidende Konstruktionsfehler.
Notwendig sei nach den Erfahrungen mit den unterschiedlichen Gutachten und deren Handhabung eine Gesamtstudie "mit einem verbindlichen und überprüfbaren Rahmen für die Aufarbeitung in ganz Deutschland bis 2025, damit auch wieder nach vorne geschaut werden kann". Auch eine unabhängige und ausreichend ausgestattete Selbstorganisation der Betroffenen sei dringend erforderlich, um die nötige Augenhöhe mit den Kirchenvertretern zu schaffen.