DOMRADIO.DE: Es ist das erste Mal nach der Corona-Zwangspause, dass im Heiligen Land wieder normale Feierlichkeiten in der Kar- und Osterzeit möglich sind. Sie sind erleichtert darüber, oder?
Nikodemus Schnabel (Abt der Dormitio-Abtei Jerusalem): Ja, natürlich. Corona war wirklich eine starke Bürde. Viele Christen und auch viele Ordenshäuser leben ja auch von Pilgern und Gästen und Touristen. Auch aus der Perspektive ist es ein Segen, dass die Pilger wieder zurück sind.
DOMRADIO.DE: Und was heißt das jetzt für Sie und Ihre Mitbrüder in der Dormitio-Abtei? Wie werden Sie den heutigen Palmsonntag begehen?
Schnabel: Wir werden ihn klassisch geteilt begehen. Einmal für uns und einmal mit der Ortskirche. Wir werden am Vormittag einen klassischen Palmsonntagsgottesdienst auf Deutsch in der wieder zugänglichen Kirche halten. Sie ist noch nicht für die Pilgerinnen und Pilger komplett zugänglich. Aber in der Heiligen Woche werden wir alle Gottesdienste im oberen Kirchenraum haben. Das wird für uns eine Premiere sein, Palmsonntag zum ersten Mal auf dem neuen Altar feiern zu dürfen.
Und dann, um 14.30 Uhr am Nachmittag, werden wir uns alle der Ortskirche anschließen, dem lateinischen Patriarchen und den anderen Bischöfen, Ordensleuten, den ganzen Pilgerinnen und Pilgern und natürlich auch vielen meiner Migrantinnen und Migranten in Betfage, das ist der biblische Ort, wo Jesus die Eselin bestiegen haben soll, also dort auf ihr den Ölberg herunter geritten ist bis nach Jerusalem hinein.
Das wäre jetzt der Eingang des Löwentors oder Stephanstors, wo Sankt Anna ist, das ist die erste Kirche, wenn man Jerusalem betritt und dort wird es dann einen Abschlusssegen geben. Das heißt, das ist dann nur die Prozession ohne Eucharistiefeier. Das ist die Tradition, die viele andere auch machen, die Franzosen, die Engländer und so weiter. Jeder feiert am Vormittag Palmsonntag für sich und dann am Nachmittag machen wir diese riesengroße Prozession, wo immer über 10.000 Leute kommen, was so ein bisschen was von Karneval in Rio hat, wenn wir dann den Ölberg hinunter tanzen und singen.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie gerade schon so eine Zahl genannt 10.000. Vermutlich wird es mittlerweile wieder schön voll in Jerusalem, oder?
Schnabel: Ja, absolut. Man merkt wirklich, Corona ist vorbei und viele haben auch einen Nachholbedarf. Wir erleben einerseits ganz viele Pilgerinnen und Pilger, die sowieso geplant haben zu kommen. Aber es gibt auch viele Nachholer, denn viele wären letztes oder vorletztes Jahr gekommen und die sagen jetzt endlich holen wir unsere Reise nach, die wir verschieben mussten. Die Stadt ist also richtig voll.
Was spannend ist an dem heutigen Tag: Es gibt nur einen einzigen Tag im ganzen Jahr, wo Jerusalem gefühlt eine christliche Stadt ist und das ist heute. Durch die Palmsonntagsprozession, wo die Christen auch wirklich sichtbar sind, hörbar sind und auch das Straßenbild bestimmen. Sonst ist Jerusalem eher gefühlt eine jüdische oder muslimische Stadt.
Natürlich wird das dann auch ab morgen schon wieder komplett umschlagen von der Gefühlslage her, weil wir ja Ramadan haben. Das heißt, die ganze Stadt ist auch voller muslimischer Pilger, die jetzt dann auch beten wollen auf dem Haram al-Scharif.
Und am Mittwochabend beginnt ja dann Pessach, das berühmte Sedermahl, da werden auch unzählige jüdische Pilgerinnen und Pilger kommen, die Pessach in Jerusalem feiern wollen. Wir Christen sind aus Deutschland gewohnt, dass wir da die Mehrheitsreligion sind. Jetzt am Palmsonntag sind wir das mal kurz gefühlt, aber die nächsten Tage auch über Ostern, wird die Stadt vor allem als eine jüdische muslimische Stadt wahrgenommen werden.
DOMRADIO.DE: Jetzt kennen wir aber auch andere Bilder aus Israel, gerade in den aktuellen Tagen. Massendemonstrationen gegen die Justizreformen der rechtsreligiösen Regierung und von Benjamin Netanjahu. Wirft diese schwierige politische Gemengelage einen Schatten auf die religiösen Feierlichkeiten heute und auch in den kommenden Tagen?
Schnabel: Absolut. Ich hatte ja gestern schon eine Prozession mit Indern und Srilankesen, wir waren auch einige Tausend. Und da haben wir erlebt, das ist eine neue Dimension, es gab viele radikale jüdische Siedler, die die Prozession gestört haben. Man merkt jetzt diese radikaleren Kräfte, die es natürlich immer wieder gab, aber wo die Regierung und auch die Polizei immer klar Kante gezeigt haben, dass die jetzt durchaus im Aufwind sind. Dieser Traum, den ich geschildert habe, wie wunderschön das ist, dass Jerusalem gerade in diesen Tagen für drei Religionen ganz wichtig ist; jüdische, muslimische und christliche Pilger kommen zugleich.
Aber es gibt leider Kräfte, die sagen: "Israel den Juden! Nicht-Juden raus!" Und das ist mittlerweile sagbar, auch von der Regierungsseite her. Und das ist einfach sehr, sehr schwierig. Ich bin froh, ich bin dankbar für alle Demonstrationen, für alle Staus, für alle Verkehrsblockaden, für alles - weil die Menschen jetzt auf die Straße gehen und sagen, nein, wir wollen nicht so ein Israel, für was diese Regierung steht.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihre persönliche Palmsonntags-Botschaft?
Schnabel: Der Palmsonntag bringt so eine realistische Form von Tröstung. Nicht so eine Tröstung von 'Am Ende wird alles gut. Nach dem Motto: Gott hat uns lieb." Das stimmt natürlich alles. Aber ich glaube, Palmsonntag macht auch klar: Es gibt das Leid, wir können das nicht wegdrängen. Es gibt diese Verwundungen im Leben, aber wir dürfen wirklich hoffen, dass diese Verwundungen nicht das letzte Wort haben, sondern dass es jemanden gibt, der sie auch heilen kann.
Das Interview führte Oliver Kelch.