DOMRADIO.DE: Sie haben sich intensiv mit Angela Merkel beschäftigt. Bekommt Angela Merkel diese höchste Staatsehre zurecht?
Volker Resing (Leiter Ressort Berliner Republik beim Magazin Cicero / Merkel-Biograf): Solche Auszeichnungen spiegeln ja nicht die politische Bewertung ihrer Arbeit wider oder eine historische Aufarbeitung der Ära Merkel. Sie gehört wie Willy Brandt und Helmut Kohl zu den prägenden Kanzlern unserer Republik. Und geehrt wird die Person, nicht ihr politisches Lebenswerk.
DOMRADIO.DE: 16 Jahre lang hat Angela Merkel als Kanzlerin das Land regiert. Viele haben sie für ihre unprätentiöse Art geschätzt und immer wieder gewählt. Nach Ende ihrer Amtszeit steht jetzt auch vieles in der Kritik. Da geht es dann aber um Politik. Sie habe Putin unterschätzt, wird zum Beispiel gesagt. Wie schätzen Sie das ein, wenn wir doch noch mal kurz auf die Politik schauen?
Resing: Ja, es ist natürlich ganz wichtig, dass kontrovers und heftig über ihre Bilanz diskutiert wird, über ihr politisches Lebenswerk. Und das sollte auch anlässlich einer solchen Ordensverleihung passieren. Dem darf und kann sich Merkel nicht entziehen und sie wird sich dem auch nicht entziehen. Interessant wird ihre Autobiografie sein, die sie nächstes Jahr vorlegt, wo dann auch noch mal ihre eigene Bewertung einfließt. Also ich glaube, man kann vieles kritisch sehen im Rückblick und manches wird man auch abwägen müssen, etwa in der Russlandpolitik. Wobei man da auch vorsichtig sein muss, ob man es sich da nicht zu leicht macht und mit Merkel einen Sündenbock sucht.
Angela Merkel ist immer auch kritisch mit Putin umgegangen. Sie hat in seiner Anwesenheit die Annexion der Krim kritisiert. Sie hat Sanktionen gegen Russland durchgesetzt, die der jetzige Bundesfinanzminister Christian Lindner damals als zu streng angesehen hat. Und die SPD hat nun ihre Nähe zu Russland bis ins Korruptive gepflegt. Also da ist Merkel nicht allein in der Fehleinschätzung von Putin und wie mit so einem umzugehen ist, das ist höchst komplex. Die Energiepolitik von Angela Merkel sieht im Rückblick schon verheerend aus. Diese hohe Abhängigkeit von russischem Gas, aber das kann man eben nicht singulär auf Ihre Person beziehen.
DOMRADIO.DE: Was sagen Sie zum Vorwurf, sie habe als Politikerin zu unwillig agiert?
Resing: Die Menschen bekommen heute doch den Kanzler und die Kanzlerin, die oder den sie wollen. Dieses Unprätentiöse ihrer Art, dieses Unaufgeregte nach der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder, nach diesem Basta-Kanzler, war sozusagen der Gegenentwurf.
Vielleicht fehlt ihr etwas, dass Politik auch eine Erzählung braucht, dass Politik eine Zuspitzung braucht, auch die kontroverse Auseinandersetzung. Das war vielleicht tatsächlich nicht Ihre Art, auch in ihrer Partei eine gewisse Bandbreite zuzulassen und so das politische Geschäft zu gestalten. Das fehlte ihr.
Das mit dem Visionär ist immer so eine Sache. Helmut Schmidt hat gesagt, das Visionäre sei ein Halskrankheit. So ganz trifft das sicherlich nicht zu. Vielleicht muss man sagen, dass dieses Unprätentiöse etwas ist, was Merkel ausgezeichnet hat und was im Nachhinein und unvisionär erscheint, was aber die Deutschen bis heute sehr an ihr geschätzt haben.
DOMRADIO.DE: Mit Angela Merkel saß eine Pfarrerstochter im Bundeskanzleramt. Wie christlich geprägt war ihre Politik?
Resing: Angela Merkel, habe ich immer wieder gesagt, ist bibelfester als alle ihre Vorgänger es waren. Sie ist sehr christlich aufgewachsen. Sie hat in diesem Pfarrershaushalt in der DDR eine besondere Situation erlebt, das ist vor allem ihre Prägung: Christ zu sein in einer kommunistischen Diktatur und diese Politisierung des kirchlichen, was sie von klein auf in der DDR gemerkt hat, hat sie, glaube ich, besonders geprägt. Für sie war das Christliche eigentlich etwas Privates, und sie fand es gut, dass es was Privates sein konnte, nämlich in der DDR hat sie auch Ausgrenzung erlebt durch ihr Christsein.
Insofern hat das für Irritationen gesorgt, in der westdeutschen Gesellschaft, dass sie sozusagen dieses eingespielte Spiel der Instrumentalisierung von Kirchlichkeit abgelehnt hat. Aber wie und welchen Einfluss dann die christliche Prägung auf ihre Politik hat? Das muss man im Detail untersuchen. In der Flüchtlingspolitik ist, glaube ich, bei ihr schon einiges aus einem christlichen Impuls heraus passiert. Letztendlich ist da doch einiges aus dem Ruder gelaufen. Gerade in der Migrationspolitik von Angela Merkel gibt es auch den Satz: Der Ansatz Multikulti ist absolut gescheitert. Also die Pfarrerstochter ist bei Merkel nicht wegzudenken. Das hat sie tief geprägt. Aber man kann es nicht eins zu eins auf Politik übersetzen.
DOMRADIO.DE: Wie wichtig war diese erste Kanzlerin für die Gleichberechtigung von Frauen im Land?
Resing: Die Normalität, dass es eine Kanzlerin geben kann, hat sie unter Beweis gestellt. Da auch unter Gleichberechtigung im politischen Geschäft immer ganz vieles Unterschiedliches verstanden wird, wird auch da die Interpretation unterschiedlich sein. Die SPD hat es noch nicht geschafft, in ein höchstes Staatsamt eine Frau zu bringen, außer jetzt die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, obwohl sie immer die Gleichberechtigung auf die Fahnen sich geschrieben hatte. Also es ist sicherlich ein Zeichen für Normalität und für Gleichberechtigung. Aber die politische Bewertung ihrer Kanzlerschaft in Hinblick auf Gleichberechtigung wird sicherlich auch sehr kontrovers ausfallen.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie eine Leistung Angela Merkels als Kanzlerin besonders herausgreifen würden, welche wäre das?
Resing: Mir fällt ein, dass ich gerade aus Griechenland komme und dort Urlaub gemacht habe. Und ich habe daran gedacht, dass es vielleicht doch Angela Merkel zu verdanken war, dass Griechenland in der Eurozone geblieben ist und dass Europa an diese Euro- und Finanzkrise nicht zerbrochen ist. Auch das ist politisch immer sehr kontrovers beurteilt worden. Aber ich würde aus meinem Blickwinkel des Zusammenhalts der Eurozone und der Solidarität innerhalb der Europäischen Union ihre besondere Leistung sehen.
DOMRADIO.DE: Am Montagabend wird Angela Merkel dann ausgezeichnet mit dem Großkreuz zum Bundesverdienstkreuz. Sie haben eben gesagt: Das ist aber nicht die politische Leistung, die man da betrachtet, sondern Angela Merkel als Person. Inwiefern?
Resing: Sie hat mit großem Einsatz und mit Demut dem Land gedient, so wie sie das am Anfang ihrer Amtszeit ja auch genannt hat. Und ich finde, es ist durchaus keine Selbstverständlichkeit mehr, sich in der Politik einzusetzen, sich einen Großteil seines Lebens politisch für das Gemeinwesen einzusetzen. Und dass Politik auch immer mit Personen und persönlichem Engagement und mit einem Gesicht zu tun hat, finde ich, darf man auch wertschätzen und auszeichnen, auch wenn man politisch anderer Meinung ist oder es kontrovers diskutieren sollte.
Das Interview führte Dagmar Peters.