Komponist erklärt Entstehung des Kölner Glockenkonzerts

"In der Hinsicht sicherlich einzigartig"

Im Rahmen des 4. Europäischen Glockentages und zum Geburtstag der Petersglocke gibt es im Kölner Dom am Freitag ein großes Glockenkonzert. Jan Hendrik Stens hat die Partitur zum Konzert verfasst. Diese ist ziemlich ungewöhnlich.

Die Petersglocke, auch Dicker Pitter und Decke Pitter genannt, im Kölner Dom / © Harald Oppitz (KNA)
Die Petersglocke, auch Dicker Pitter und Decke Pitter genannt, im Kölner Dom / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Der "Decke Pitter" wird an diesem Freitag 100 Jahre alt. Jan Hendrik Stens, Mitorganisator des 4. Europäischen Glockentags, hat zu diesem Anlass eine Partitur für ein Glockenkonzert geschrieben. Die Partitur sieht auf den ersten Blick wie ein Kalender aus.

Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach (DR)
Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Jan Hendrik Stens (Redakteur bei DOMRADIO.DE, Komponist des Kölner Glockenkonzerts und Mitorganisator des 4. Europäischen Glockentags): Das sieht etwas wie ein Dienstplan aus, in der Tat. Normalerweise stehen da Noten und man sieht in der Partitur, wo die Instrumente einsetzen. Tatsächlich ist es bei Glocken als Musikinstrumenten so, dass man heutzutage einen Knopf drückt. Früher zog man am Seil, und dann machten diese Instrumente selbst Musik.

Das heißt, Rhythmus oder Ähnliches oder die Frage, wie sich die Glocke beim Einläuten verhält, liegt gar nicht mehr in unserer Macht.

Was wir zusammenstellen, sind verschiedene Geläute-Kombinationen, die wir im Laufe des Kirchenjahres hören oder die eine historische Einheit bilden.

Das bringen wir den Menschen zu Gehör, die am Freitagabend auf der Domplatte stehen. Denen zeigen wir auch mal, was eigentlich das Kölner Domgeläut ausmacht.

Jan Hendrik Stens (Komponist des Kölner Glockenkonzerts und Mitorganisator des 4. Europäischen Glockentags)

"Selten im Kirchenjahr erklingende Kombinationen werden zu Gehör gebracht"

DOMRADIO.DE: Wurde das irgendwie mit einem Computerprogramm ausprobiert?

Stens: Nein, eigentlich gar nicht. Ich wohne in Köln und höre täglich das Domgeläut von meinem Arbeitsplatz aus. Ich hatte durchaus eine Vorstellung. Ich weiß auch, welche Kombinationen zu welchen Anlässen im Kirchenjahr erklingen und wie das Domgeläut aufgebaut ist.

Da hat sich im Laufe des vergangenen Jahres bei mir im Kopf die Idee herausgebildet, wie man dieses Domgeläut der Öffentlichkeit mit all seinen Facetten präsentieren kann. So ist zum Beispiel die Idee entstanden, dass das Konzert nicht mit der Petersglocke eröffnet wird, sondern mit der Pretiosa, die eine Art Ouvertüre vorweg spielt. Das heißt, die Pretiosa eröffnet das Konzert und dann treten die beiden anderen, die Speciosa und die Dreikönigenglocke hinzu.

Diese drei Glocken haben über Jahrhunderte lang das Festtagsgeläut des Domes gebildet. Die Petersglocke war ja von Anfang an gar nicht im Dom gewesen. Das Festtagsgeläut bestand eigentlich nur aus drei Glocken, die dann im südlichen Turmstumpf, der erst im 19. Jahrhundert vollendet worden ist, gehangen haben und über Jahrhunderte hin eigentlich das Kölner Festtagsgeläut gebildet haben.

Selten im Kirchenjahr erklingende Kombinationen werden zu Gehör gebracht, um einfach mal dieses Domgeläut und vor allem auch diese Stereofonie zu erleben, die sowohl aus dem Südturm als auch aus dem Vierungsturm kommt.

Jan Hendrik Stens (Komponist des Kölner Glockenkonzerts und Mitorganisator des 4. Europäischen Glockentags)

"Wenn man auf einen Knopf drückt, dann braucht eine Glocke erst mal ein bisschen, um hin und her zu schwingen, bis sie ihren ersten Schlag von sich gibt und vom ersten Schlag dann bis dahin, wo sie ihren Klang voll entwickelt."

DOMRADIO.DE: Man muss natürlich nicht nur mit dem Glockenton an sich arbeiten, sondern auch mit dem Nachklang. Und es braucht auch ein bisschen, bis die Glocke so richtig schwingt und sich das entsprechend anhört. Das muss man auch irgendwie mit berücksichtigen, oder?

Stens: Genau. Wenn man auf einen Knopf drückt, dann braucht eine Glocke erst mal ein bisschen, um hin und her zu schwingen, bis sie ihren ersten Schlag von sich gibt und vom ersten Schlag dann bis dahin, wo sie ihren Klang voll entwickelt, zu hören ist. Also, wenn sie wirklich die maximale Schwunghöhe erreicht hat und durchzieht.

Genauso ist es beim Abschalten. Wie lange braucht die Glocke, bis sie wieder steht? Da habe ich mir professionelle Hilfe geholt, nämlich die vom Domküster Patrick Schroers, der das Domgeläut wie kein anderer kennt und der damit auch das Läuteverhalten seiner Glocken verinnerlicht hat.

Wir haben uns im Januar einfach mal getroffen und zusammengesetzt. Wir waren uns eigentlich sehr schnell einig, wie wir dieses Glockenkonzert aufbauen wollen. Dann haben wir gemeinsam gesessen und anhand dieser Partitur die Ein- und Ausschaltzeiten sekundengenau aufgeschrieben.

DOMRADIO.DE: Das ist dann einfach Rechenarbeit?

Stens: Genau. Dann haben wir noch ein paar Wochen ins Land gehen lassen und Patrick Schroers hat über Ostern sehr viel mit der Hand geläutet, um noch mal genau zu verifizieren, ob denn beispielsweise die anderthalb Minuten passen, wenn wir die Petersglocke abschalten und danach weitermachen.

Jan Hendrik Stens (Komponist des Kölner Glockenkonzerts und Mitorganisator des 4. Europäischen Glockentags)

"Normalerweise ist es ja so, dass die Petersglocke beginnt und für einige Minuten so etwas wie ein Vorwort bekommt und dann baut sich das Geläut ganz langsam von der größten bis zur kleinsten Glocke auf."

DOMRADIO.DE: Werden denn alle zwölf Glocken gleichzeitig zu hören sein?

Stens: Ja, ganz am Schluss zum großen Höhepunkt werden alle zwölf Glocken erklingen, allerdings so, wie wir sie meistens nicht hören. Normalerweise ist es so, dass die Petersglocke beginnt und für einige Minuten so etwas wie ein Vorwort bekommt und dann baut sich das Geläut ganz langsam von der größten bis zur kleinsten Glocke auf.

Die Klaraglocke zusammen mit ihren anderen drei Schwestern im Glockenstuhl des Vierungsturmes / © Jan Hendrik Stens (DR)
Die Klaraglocke zusammen mit ihren anderen drei Schwestern im Glockenstuhl des Vierungsturmes / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Wir machen es am Freitagabend so, dass wir mit der kleinsten Glocke beginnen, mit der Klaraglocke im Vierungsturm und dass sich das Geläut ganz langsam von der Krone bis zum Fundament aufbaut und immer mehr steigert, sowohl im Klang als auch in der Lautstärke.

Die Petersglocke setzt dann als letzte ein. Das gibt einen Effekt, den man hier sonst am Kölner Dom so gut wie nie hört. Deswegen ist dieses Glockenkonzert in der Hinsicht sicherlich einzigartig.

DOMRADIO.DE: Das ist dann also der extra Geburtstagsauftritt des "Decken Pitter". Oder ist er auch alleine zu hören?

Stens: Er ist auch alleine zu hören. Innerhalb dieser Stunde wird die Petersglocke insgesamt dreimal zu hören sein. Einmal alleine, einmal in Kombination mit anderen Domglocken und ganz zum Schluss im Tutti aller zwölf Domglocken.

DOMRADIO.DE: Heißt das auch, dass zwölf Leute da stehen an den Knöpfen und auf die Uhr gucken?

Stens: Wir werden es wahrscheinlich so machen, dass Patrick Schroers und ich gemeinsam vor dem Schalter stehen, sodass sich einer auf das Schalten konzentriert und der andere parallel dazu noch mal auf die Partitur guckt, damit es  nicht zu Verzögerungen kommt. Und um auch dem Läutemeister den Rücken freizuhalten.

Man weiß ja nie, wenn plötzlich ein Hausmeister durch die Sakristei läuft und Wirbel veranstaltet. Dann ist man abgelenkt. Wir müssen sicher sein, dass alles sekundengenau mit dem Schalten klappt.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Information: DOMRADIO.DE überträgt das Glockenkonzert am Freitag, dem 5. Mai 2023 um 20 Uhr. 

Europäischer Glockentag 2023

Am 5. Mai 1923 wurde im thüringischen Apolda die Petersglocke des Kölner Domes gegossen. Bis 2018 war sie die größte freischwingende Glocke der Welt und gehört zu den weit über die Stadt hinaus bekannten Wahrzeichen. Anlässlich der 100. Wiederkehr des Gusstages wird in Köln vom 4. bis zum 7. Mai ein Europäischer Glockentag veranstaltet.

Der decke Pitter, die Petersglocke des Kölner Domes, wird 100 Jahre alt / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Der decke Pitter, die Petersglocke des Kölner Domes, wird 100 Jahre alt / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
DR