Katholische Akademie spürt Cancel Culture und Wokeness nach

"Synodaler Weg war ein Fest der freien Rede"

Man darf ja nichts mehr sagen, heißt es oft. Doch gilt das wirklich? Ein Abend in der Katholischen Akademie über Wokeness, Identitätspolitik und Cancel Culture zeigte, dass es durchaus Räume für faire Diskussionen gibt.

Autor/in:
Barbara Just
Fünfte Synodalversammlung in Frankfurt / © Maximilian von Lachner (SW)
Fünfte Synodalversammlung in Frankfurt / © Maximilian von Lachner ( SW )

In einer Demokratie sollte es selbstverständlich sein, Personen nicht auszugrenzen. Political Correctness ist angesagt. Wer sich nicht daran hält, den holt angeblich die Cancel Culture ein.

Längst ist der Vorwurf von Wokeness zum Kampfbegriff der Rechten geworden. Aber was bedeutet das Wort? Unter dem Titel "Das wird man ja wohl noch canceln dürfen!" fand am Montagabend in München in der Katholischen Akademie in Bayern eine Tagung statt. Mitveranstalter waren unter anderem die Lehrstühle für Fundamental- und Moraltheologie der Ludwig-Maximilians-Universität.

Galionsfigur Habermas

War der Philosoph Jürgen Habermas einst Galionsfigur vieler Studenten, so gilt er heute als "heillos konservativ und altliberal", wie der Münchner katholische Fundamentaltheologe Thomas Schärtl-Trendel anmerkte. Nun zähle, was die im kalifornischen Berkeley lehrende Judith Butler zu sagen habe, die durch ihr Buch "Das Unbehagen der Geschlechter" bekannt wurde.

Jürgen Habermas (m.) / © Arne Immanuel Bänsch (dpa)
Jürgen Habermas (m.) / © Arne Immanuel Bänsch ( dpa )

Weil sich kein Referent für eine Definition von Wokeness gefunden hatte, wagte sich der Theologe selbst daran. Er hinterließ bewusst offene Fragen. Das Phänomen geht selbst an Lego nicht spurlos vorbei. Der Spielwaren-Konzern hält einen Bausatz mit elf unterschiedlichen Figuren vor, die vor einem Regenbogenhintergrund stehen. Unter dem Motto "Jeder ist einzigartig" soll so Vielfalt dargestellt werden.

Eigentlich ein Satz aus der christlichen Anthropologie, merkte Schärtl-Trendel an, aber in dieser Verfremdung erhalte er eine neue Brisanz.

Führt negative Auslegung zu neuen Spaltungen?

Wie aber kommt man - in Anlehnung an des Professors Referatstitel - nach "Wokistan"? Liegt es an der zunehmenden Emotionalisierung oder an "Helikopter-Eltern", die ihren Kindern unangenehme Wahrheiten und kontroverse Meinungen ersparen wollen?

In Erinnerung rief der Theologe, dass viele Probleme wie Rassismus oder Gleichberechtigung nicht gelöst seien. Zu überlegen sei, ob eine zunehmend negative Auslegung von emanzipatorischen Freiheitsrechten nicht auch zu neuen Spaltungen führen könne.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft will etwa bei Förderanträgen nun wissen, ob man aus einem bildungsfernen Haushalt stamme oder behindert sei. "Dies anzumerken würde meine Chancen vielleicht erhöhen, gleichzeitig aber habe ich das Gefühl, in eine Art Beichtstuhl gerufen zu werden, wo ich nicht rein möchte", so Schärtl-Trendel. Das seien "sehr private Dinge", die seine Kollegen nicht erfahren sollten.

Moralische Maßstäbe nicht an vergangene Epochen anlegen

Die Direktorin des John-Stuart-Mill-Institut für Freiheitsforschung, Ulrike Ackermann, vertrat die Auffassung, dass hinter den neuen Begriffen umfassende Gesellschaftskonzepte und Ideologien stünden. Mit neuen Sprachregeln und Wortschöpfungen sollten das Denken und so die Gesellschaft transformiert werden.

Tagung der Katholischen Akademie in Bayern / © Barbara Just (KNA)
Tagung der Katholischen Akademie in Bayern / © Barbara Just ( KNA )

Rassismus, die Diskriminierung von Minderheiten und die Verbrechen des Kolonialismus müssten angesprochen werden. Wenn Bürgerinnen und Bürger etwa gegen Fremdenfeindlichkeit protestierten, sei das gut. Aber wenn die moralischen Maßstäbe von heute radikal an vergangene Epochen angelegt würden, sei dies "unseriös und unhistorisch".

Der Protest ist in ihren Augen aus dem Ruder gelaufen. Im akademischen Feld würden Forderungen erhoben, die am Fundament der freiheitlichen Ordnung rüttelten. Die Identitätspolitik sei aber längst in allen Bereichen präsent. Was sie eine: radikale Kritik an der westlichen Moderne und ihren freiheitlichen Errungenschaften.

Antiwestliche Ressentiments und Hass auf Moderne

Diese Identitätspolitiken verbinde ein zutiefst antiwestliches Ressentiment und Hass auf die Moderne. "Solch weltlicher Selbsthass ist nicht nur dekadent, sondern brandgefährlich und selbstzerstörerisch."

Eine Erwiderung hätte von der Intendantin der Münchner Kammerspiele, Barbara Mundel, kommen sollen. Doch diese hatte kurzfristig abgesagt.

Spontan ergriff Gudrun Lux, Münchner Grünen-Stadträtin, das Wort. Als Mitglied des Synodalen Wegs, des Reformprozesses der katholischen Kirche in Deutschland, habe sie die Diskussionen als ein "Fest der freien Rede" erlebt. "Wir durften und wir haben Dinge gesagt, von denen ich sicher bin, dass wir vor 30 Jahren des Raums verwiesen worden wären."

Wenn Ackermann behaupte, es herrsche heute ein Konformitätsdruck, so sei dies keine Erscheinung der Gegenwart, so Lux. Wenn man an die 1980er Jahre denke: "Wie viele Menschen haben sich denn im Dorf, auch wenn es wahr war, nicht zu sagen getraut, dass der Pfarrer die kleinen Jungs anfasst?"

Quelle:
KNA