DOMRADIO.DE: Bundesgesundheitsminister Lauterbach fordert die Kirchen auf, ihre Türen als Kälteorte in der Sommerhitze zu öffnen. Sowohl von evangelischer als katholischer Seite wird das begrüßt. Warum ist es an heißen Sommertagen in Kirchen oft kälter?
Gerd Meyerhoff (Stellvertretender Vorsitzender der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister e.V.): In den Städten sind die Türen der großen Kirchen meist ohnehin geöffnet, und es gibt viele Menschen, die aus der Bruthitze der Stadt heraus dort einen Moment Zuflucht suchen und sich abkühlen. Überhaupt ist es in der Steinwüste der Städte schlechter auszuhalten, da Asphalt und Stein sich bei direkter Sonneneinstrahlung schnell aufheizen.
DOMRADIO.DE: Dabei ist die Abkühlung in den Kirchen ja keine Garantie. Je länger der Sommer dauert, umso wärmer wird es auch in Kirchen. Woran liegt das?
Meyerhoff: Bauwerke, die, wie viele Kirchen, aus dickem Mauerwerk bestehen, sind thermisch träge. Das heißt, sie folgen den Tagestemperaturen kaum und den Außentemperaturen im Jahresverlauf nur langsam. In der Regel bieten sie daher Schutz gegen die hohen Außentemperaturen.
DOMRADIO.DE: Gibt es da Unterschiede nach Bauart und Größe? Hält eine romanische Kirche mit kleinen Fenstern zum Beispiel die Hitze besser ab als eine große gotische Kathedrale?
Meyerhoff: Ja, das ist so. Die romanischen Bauten besitzen mehr Masse, besitzen also größere thermische Trägheit. Zudem wird wegen der kleineren Fensteröffnungen weniger Strahlungswärme eingetragen. Umgekehrt erlauben die großen Fensterflächen gotischer Kirchen schnellere Aufheizung der Innenräume.
DOMRADIO.DE: Wäre es denn denkbar, Kirchengebäude auch mit Klimaanlagen oder im Winter mit Heizungen auszurüsten, wenn die Temperaturen steigen? Oder ist das vom Energieverbrauch illusorisch?
Meyerhoff: Es ist sinnvoll, die vorhandene thermische Trägheit auszunutzen. Um Kirchen darüber hinaus technisch zu heizen oder zu kühlen, würde sehr viel Energie benötigt werden. Das ist zum einen wegen des Energieverbrauchs nicht sinnvoll, zum anderen bedeutet es Belastungen für die Kirchen und ihre Ausstattung, besonders für die empfindliche hölzerne Ausstattung oder Malereien.
DOMRADIO.DE: Wie finden Sie die Idee des Gesundheitsministers? Kirchen sollten ja eigentlich auch Orte der Andacht sein und nicht der Abkühlung...
Meyerhoff: Kirchen sind in jedem Fall Orte der Andacht. Dass sie im Sommer zudem kühlen, ist für die Andacht sicherlich nicht von Nachteil. Es ist eine klassische Win-Win-Situation.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.