In kaum einem lateinamerikanischen Land ist die Position des Erzbischofs der Hauptstadtdiözese politisch so schwer beladen wie in Argentinien. Das liegt einerseits daran, dass Papst Franziskus aus Buenos Aires stammt und zehn Jahre nach seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt mit Erzbischof Jorge Ignacio Garcia Cuerva (55) bereits den zweiten Nachfolger installierte. Der erste, Kardinal Mario Aurelio Poli (75), war aus Altersgründen in den Ruhestand gewechselt.
Zum anderen stand die Kirche in Argentinien schon immer unter der misstrauischen Beobachtung des peronistischen und konservativen Lagers. Jede Äußerung wird genaustens durchleuchtet, ob sie für oder gegen das eigene Lager interpretiert werden kann. Buenos Aires war schon immer ein politisches Haifischbecken.
Cuerva könnte gut 20 Jahre Bischof von Buenos Aires sein
Welchen Stellenwert der "Hausherr" in der nur einen Steinwurf vom Amtssitz des Präsidenten gelegenen Kathedrale in Buenos Aires an der Plaza de Mayo hat, zeigt auch die Tatsache, dass beim Amtseinführungsgottesdienst von Erzbischof Garcia Cuerva neben Staatspräsident Alberto Fernandez auch Teile des argentinischen Kabinetts erschienen waren.
Der im Mai ernannte Garcia Cuerva bringt die Erfahrung als Bischof von Rio Gallegos (2019 bis 2023) und als Weihbischof in Lomas de Zomara (2017 bis 2019) mit ins Amt. Der 55-Jährige ist im passenden Alter, um der Hauptstadtdiözese für zwei Jahrzehnte seinen Stempel aufdrücken zu können.
Vermittlung in der Politik
Im Oktober wird bei den Präsidentschaftswahlen eine Nachfolge für Fernandez gewählt, der – wohl aufgrund schlechter Umfragewerte und mangelnder Unterstützung aus dem eigenen Lager – die Entscheidung traf, nicht erneut zu kandidieren. Umso sensibler und unparteiischer muss sich der neue Erzbischof äußern, um nicht gleich zu Beginn seiner Amtszeit zwischen die Mühlsteine der argentinischen Politik zu geraten.
Also wählte Garcia Cuerva bewusst versöhnliche Töne und bot seine Vermittlung an. Die gesellschaftlichen und politischen Kräfte seien dazu aufgerufen, die Spaltung des Landes nicht weiter voranzutreiben, sondern Verantwortung zu übernehmen, auch wenn die wirtschaftliche und soziale Realität die Seele derzeit verletzt und erschrocken zurücklasse:
Erinnerung an Arme und Tote
"Ich glaube fest an die Zusammenarbeit, den Dialog und die Suche nach Konsens und Vereinbarungen. Zählen Sie auf mich, wenn es darum geht, eine intelligente Präsenz des Staates zugunsten der schwächsten und am meisten ausgegrenzten Sektoren zu erreichen." Die Armen nicht zu vergessen - damit liegt Garcia Cuerva ganz auf der Linie seines Vorvorgängers Jorge Bergolio – heute Papst Franziskus.
Garcia Cuerva erinnerte an die Opfer und die Notleidenden der vergangenen Jahre: "Wir sind aufgerufen anzuerkennen, dass es unter uns Menschen, Familien, Freunde gibt, die leiden, die sich in ihrer Hoffnung verletzt fühlen. Die Familien, die um die mehr als 16.000 Menschen trauern, die von Covid in der Stadt getötet wurden; die älteren Menschen, die verlassen oder im Stich gelassen wurden; diejenigen, die unter Süchten, Gewalt in all ihren Formen, Angst und Panik leiden; diejenigen, die auf der Straße oder in unsicheren Wohnungen leben, oder so viele, die schlaflos versuchen, über die Runden zu kommen."
Franziskus könnte in seine Heimat kommen
Damit gelang dem Erzbischof eine treffende Zustandsbeschreibung für die aktuelle Lage in Argentinien, ohne die Schuldfrage zu stellen. Das Land erlebt derzeit eine schwere Wirtschaftskrise. Die Inflation liegt im Jahresvergleich bei über 100 Prozent, die Armutsrate liegt bei rund 40 Prozent.
Nach den Wahlen im Oktober – mit einer möglichen Stichwahl im November – gibt es für die argentinische Politik die Möglichkeit eines Neustarts. Dabei werden dann auch Kirche und Erzbischof eine zentrale Rolle spielen. Denn voraussichtlich im März 2024 – der Termin ist noch nicht offiziell bestätigt – könnte Papst Franziskus zum ersten Besuch seit seiner Wahl nach Argentinien kommen. Es wird eine historische Visite werden. Für den Erzbischof macht das die Herausforderung im neuen Amt nicht einfacher.