Warum ein Pastor Gottesdienste mit Demenzkranken feiert

"Diese Menschen brauchen unsere Zuwendung"

Nicht nur hören, sondern fühlen: Pastor Jochen Müller-Busse bietet Gottesdienste für demenzkranke Menschen in einer Kirche in Ostholstein an. Warum ihm das ein Anliegen ist und was diese Gottesdienste besonders auszeichnet.

Symbolbild Demenz / © LightField Studios (shutterstock)
Symbolbild Demenz / © LightField Studios ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Warum sind Ihnen diese Gottesdienste so wichtig?

Jochen Müller-Busse (Pflegeheimseelsorger im evangelischen Kirchenkreis Ostholstein): Demente sind Menschen, die vergessen, aber nicht vergessen werden dürfen. Jesus sagt: "Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht." Diese Menschen brauchen unsere Zuwendung.

DOMRADIO.DE: Diese Gottesdienste können auch Erinnerungen in den Menschen anregen und etwas in den Erkrankten auslösen. Wie bemerken Sie, dass sich bei ihnen etwas bewegt?

Müller-Busse: Ich merke zum Beispiel, dass Lieder vertraut sind. Wir singen vertraute, alte Lieder, auch die bekanntesten Strophen, auch die Gottesdienstordnung ist vertraut. Manche können den Psalm 23 auswendig. Da klingt viel an.

DOMRADIO.DE: Wie bereiten Sie sich denn auf die Gottesdienste vor?

Jochen Müller-Busse

"Es geht bei diesen Gottesdiensten auch darum, nicht nur intellektuell die Predigt zu haben, sondern auch andere Sinne anzusprechen."

Müller-Busse: Zunächst einmal bete ich für die Menschen. Ich habe auch eine Liste mit Bewohnern und führe mir die vor Augen. Und ich stelle mir vor: Welche Themen bewegen diese Menschen?

Ich mache auch Besuche, kenne von daher die Bewohner im Pflegeheim recht gut und überlege: Welche Themen es gibt und welche biblischen Botschaften? Dann überlege ich, welche Symbole da gut wirken könnten. Es geht bei diesen Gottesdiensten auch darum, nicht nur intellektuell die Predigt zu haben, sondern auch andere Sinne anzusprechen.

DOMRADIO.DE: Welche Themen sind das zum Beispiel, die Sie behandeln?

Müller-Busse: Ich hatte zum Beispiel das Thema "Wasser und Durststrecken". Jesus sagt: "Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen." Bei Jesus bekommen wir Wasser des Lebens und können Wasser weitergeben. Die Gottesdienstteilnehmer bekamen auch Wasser zu trinken.

Oder das Thema "Wasser und Taufe": dass ich die Teilnehmer mit etwas Wasser benetzt habe und zum Beispiel gesagt habe: "Hildegard Schmitz, zur Erinnerung an deine Taufe, du bist Gottes geliebte Tochter."

Auch Ein-Cent-Münzen kommen im Gottesdienst mit Demenzkranken zum Einsatz / © Rabanser (shutterstock)
Auch Ein-Cent-Münzen kommen im Gottesdienst mit Demenzkranken zum Einsatz / © Rabanser ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Heute hat auch eine Ein-Cent-Münze bei Ihnen im Gottesdienst eine Rolle gespielt. Was muss ich mir darunter genau vorstellen?

Müller-Busse: Es war wirklich schwer, 40 Silbergroschen zu bekommen. Darum habe ich 50 Ein-Cent-Münzen besorgt. Es gibt ein Gleichnis: Eine Frau hatte zehn Münzen und hat eine verloren und fegte das Haus und zündete ein Licht an. Als sie die eine Münze fand, freute sie sich riesig und lud die Nachbarinnen und Freundinnen ein zum Fest.

Und so sind wir Gott ganz wichtig. Gott setzt alles daran, uns zu finden und freut sich, wenn wir uns von ihm finden lassen. Um das nicht nur mit Worten zu vermitteln, sondern auch etwas anfassen zu können, hat dann jeder Teilnehmer im Gottesdienst eine Münze bekommen.

Jochen Müller-Busse

"Den Menschen sind die Gottesdienste sehr wichtig."

DOMRADIO.DE: Was für Rückmeldungen von Betroffenen oder auch von Angehörigen bekommen Sie denn zu Ihrem Angebot?

Müller-Busse: Den Menschen sind die Gottesdienste sehr wichtig. Sie fragen, wann wieder Gottesdienst ist. Sie sagen, dass der Gottesdienst schön war.

DOMRADIO.DE: Sie richten sich ja nicht nur an Demenzerkrankte, sondern auch noch an andere Menschen. Wen möchten Sie denn noch erreichen?

Müller-Busse: Auch andere Menschen sind ja nicht nur intellektuell über das Wort ansprechbar, sondern auch über die Sinne. Es kommen nicht nur demente Menschen zu den Gottesdiensten, sondern auch andere.

Das Interview führte Tim Helssen.

Demenz

Medizinisch bedeutet Demenz eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Gedächtnis, räumliches Orientierungsvermögen und das Sprachvermögen zunehmend beeinflusst werden. Die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen lautet "ohne Verstand sein". Der Betroffene verliert die Kontrolle über sein Denken und damit über sich selbst.

Hilfestellung bei Demenz / © Jens Kalaene (dpa)
Hilfestellung bei Demenz / © Jens Kalaene ( dpa )
Quelle:
DR