Hilfsorganisation kritisiert liberale Prostitutionsgesetze

"Nachfrage muss eingedämmt werden"

Zum Tag gegen Menschenhandel bewertet die Frauenhilfsorganisation SOLWODI die Lage von Betroffenen in Deutschland. Für diese brauche es Schutz, keine verschärften Asylverfahren. Zudem müsse die legale Prostitution begrenzt werden.

Symbolbild Menschenhandel / © Doidam 10 (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wie gehen wir in Europa mit Menschen um, die Schutz bei uns suchen? Diese Frage beschäftigt die EU seit langem. Vor kurzem hat die Union eine Verschärfung des Asylrechts beschlossen, zum Beispiel auch einen restriktiveren Umgang mit Menschen ohne Bleibeperspektive. Genau diese Verschärfung, sagen Sie, könnte die Lage von Betroffenen weiter verschlechtern. Was genau befürchten Sie?

Maria Decker (Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation SOLWODI): Wir befürchten, dass gerade die besonders vulnerable Gruppe der Frauen, die von Menschenhandel betroffen ist, durch das Raster fällt. Auf den ersten Blick wird es so aussehen, als ob sie eine niedrige Bleibeperspektive haben, da Länder wie Nigeria etc. nur geringe Schutzquoten bekommen. Aber diese Frauen sind von massiver Gewalt betroffen. Sie werden ausgebeutet und sind vulnerabel.

Maria Decker von SOLWODI

"Wir befürchten, dass diese Frauen nicht als Betroffene von Menschenhandel erkannt und entsprechend in Schnellverfahren abgeschoben werden."

Und für diese Frauen ist es besonders schwierig, in einem Schnellverfahren ihre Geschichte konsistent und kohärent zu erzählen. Deshalb befürchten wir, dass diese Frauen nicht als Betroffene von Menschenhandel erkannt und entsprechend in diesen Schnellverfahren abgeschoben werden.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade ein Land genannt. Frauen welcher Herkunft sind noch besonders gefährdet?

Decker: Westafrika ist sicher ein ganz wichtiger Hotspot des Menschenhandels, vor allen Dingen Nigeria. Aber wir sehen auch Frauen aus Ghana und anderen Ländern in der Region.

DOMRADIO.DE: In welcher Größenordnung haben Sie von SOLWODI in Deutschland mit Betroffenen von Menschenhandel zu tun?

Maria Decker

"Bei uns melden sich jedes Jahr etwa 300 bis 400 Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind. Die Dunkelziffer ist weitaus höher."

Decker: Bei uns melden sich jedes Jahr etwa 300 bis 400 Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind oder bei denen der begründete Verdacht besteht. Das ist auch etwa die Größenordnung der Ermittlungsverfahren, die die Polizei einleitet oder die das BKA berichtet. Die Dunkelziffer ist jedoch weitaus höher. Expert:innen schätzen, dass wir eher zehntausende Fälle von Menschenhandel haben.

Und das ist hauptsächlich Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Natürlich kommt dann auch Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung und andere Formen dazu.

DOMRADIO.DE: Welche Forderungen leiten Sie aus den genannten Befürchtungen ab?

Decker: Wir fordern, dass Frauen, bei denen der Verdacht besteht, von Menschenhandel betroffen zu sein, uneingeschränkten Zugang zum Asylverfahren bekommen und dass sie, wenn sie ausgebeutet worden sind und Gewalt erfahren haben, auch einen entsprechenden Schutzstatus in Deutschland bekommen. Ich denke, das sind wir diesen Frauen aus humanitären Gründen schuldig.

Maria Decker

"Deutschland ist für den Menschenhandel insofern interessant, weil es ein sehr liberales Prostitutionsgesetz hat."

DOMRADIO.DE: Was müsste passieren, damit sich das "Geschäft mit der Ware Frau" nicht mehr lohnt?

Decker: Die Nachfrage müsste eingedämmt werden. Deutschland ist für den Menschenhandel insofern interessant, weil es ein sehr liberales Prostitutionsgesetz hat. Prostitution in Deutschland ist legal und damit glauben viele, dass auch alles, was im Umfeld der Prostitution passiert, legal ist und seine Richtigkeit hat. Die meisten wissen gar nicht, wie viele Betroffene von Menschenhandel in der Prostitution landen.

Von daher kann nur eine Begrenzung der Nachfrage nachhaltig wirken. Das zeigt auch das Beispiel Schweden, wo es schon seit knapp 25 Jahren eine entsprechende Gesetzgebung gibt. Menschenhandel ist da praktisch kein Thema mehr, weil die Nachfrage nicht da ist. Dann ist es auch für Menschenhändler uninteressant, Frauen nach Schweden zu bringen.

DOMRADIO.DE: Haben Sie Hoffnung, dass das in Deutschland auch so kommen wird?

Decker: Eine vorsichtige Hoffnung. Wir sehen, dass sich einige Politiker und Politikerinnen mit dem Thema ernsthaft beschäftigen. Wir sehen auch, dass bei der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes, die jetzt angelaufen ist, diese Fragen immer wieder diskutiert werden.

Von daher hoffen wir und kämpfen wir dafür, dass es eine Änderung und ein Umdenken in der Prostitutions-Politik geben wird.

Das Interview führte Bernd Hamer. 

Frauenhilfsorganisation SOLWODI

Die Frauenhilfsorganisation SOLWODI existiert seit 1985. Das Kürzel steht für SOLidarity with WOmen in DIstress (Solidarität mit Frauen in Not). Die Ordensfrau Lea Ackermann gründete die Organisation zunächst, um damit kenianischen Frauen aus der Elendsprostitution herauszuhelfen. 

Symbolbild Gewalt an Frauen / © Doidam 10 (shutterstock)
Symbolbild Gewalt an Frauen / © Doidam 10 ( shutterstock )
Quelle:
DR