Eigentlich war alles klar: Das Wahlvolk in Guatemala hat sich in der ersten Runde der Präsidentenwahlen am 25. Juni überraschend für den linken Systemkritiker Bernardo Arevalo de Leon (64) sowie die Mitte-Links-Politikerin Sandra Torres (67) entschieden – und die beiden in die Stichwahlen am 20. August geschickt.
Störfeuer von Rechts
Doch seitdem ist vor allem das rechte Establishment in Aufruhr, das Wirtschaft, Politik und Justiz dominiert. Amtsinhaber Alejandro Giammattei (67) darf wegen einer Amtszeitbegrenzung in der Verfassung nicht erneut antreten. Versuche der Staatsanwaltschaft, das Ergebnis des ersten Wahlgangs zu diskreditieren, schlugen fehl. Zwar hat die Wahlbehörde TSE die Resultate nach wochenlangem Zögern bestätigt; doch die Störfeuer gehen weiter. Besonders die Bewegung Semilla des linken Überraschungssiegers Arevalo wird juristisch attackiert.
Rückfall in die Militärdiktatur?
Kirchenvertreter und Vereinte Nationen zeigen sich besorgt. Kardinal Alvaro Leonel Ramazzini, Bischof von Huehuetenango, warnt sogar vor einem möglichen Rückfall in eine Militärdiktatur. Die Inhaber der politischen Macht wollten diese nicht aufgeben, sagte Ramazzini in der Radiosendung "A Primera Hora". Das Land drohe in jene Zeiten zurückzukehren, in denen die Armee intervenierte und die Demokratie missachtete.
"Vielleicht haben sie andere Wahlergebnisse erwartet, aber: Sie haben nicht gewonnen", so der Kardinal. "Was ist es, wonach sie suchen?", fragte Ramazzini, den viele in Guatemala wegen seines gesellschaftspolitischen Engagements auch den "Roten Bischof" nennen. "Die Erklärung, die ich aus meinem Glauben und aus meiner Aufgabe als Bischof ziehe, ist, dass es eine sehr große Versuchung im Menschen gibt; und zwar die der Macht, die in diesem Fall auch mit der des Geldes verbunden ist."
"Wille der Wähler nicht respektiert"
Auch die Vereinten Nationen betrachten die Lage mit Sorge. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk kritisierte Versuche, den Wahlprozess in Guatemala zu untergraben, so dass "der Wille der Wähler nicht respektiert" werde. Türk erklärte in Genf, das oberste Wahlgericht (TSE) habe nach Prüfung die vorläufigen Ergebnisse der ersten Wahlrunde bestätigt. Die Kandidaten der Parteien "Movimiento Semilla" und "Unidad Nacional de la Esperanza" gingen in die zweite Runde am 20. August.
Nery Rodenas, Geschäftsführer des Menschenrechtszentrums des Erzbistums Guatemala-Stadt, hatte jüngst im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vor einem Übergang in eine schleichende Diktatur gewarnt. Guatemala sei keine typische Diktatur, in der eine einzige Person viele Jahre lang alle Macht ausübe, sondern "eine Diktatur des Systems; das heißt, ein System, das keine anderen Aktivitäten zulässt als jene, die ihm Privilegien verschaffen", so Rodenas.
"Demokratie steht auf dem Spiel"
Die guatemaltekische Diktatur bestehe in einer Übernahme aller staatlichen Institutionen, in einer Schwächung des demokratischen Systems, in Verfolgung und Kriminalisierung von Gegnern. Es gebe in Guatemala den Versuch, den Wahlprozess zu behindern, damit sich der Status quo nicht ändere und das System von Korruption, Privilegien und Straflosigkeit weiter bestehen bleiben könne. "Die Demokratie steht auf dem Spiel", warnte Rodenas.