Für seine Spontanität ist Papst Franziskus bekannt – und bei seinen Mitarbeitern berüchtigt. Dass der Argentinier von einer vorbereiteten Predigt oder Ansprache abweicht, ist nicht außergewöhnlich. Doch nachdem Franziskus am Samstagvormittag seine Rede in Portugals berühmtem Marienwallfahrtsort Fatima beendet hatte, war die Aufregung unter den anwesenden Journalisten dennoch groß.
Der Grund: Die allgemein erwartete Friedensbotschaft blieb aus. Statt einer Ansprache und eines Gebets beschränkte sich Franziskus auf eine kurze Rede, in der er über Maria und über seinen Wunsch nach einer für alle Menschen offenen Kirche sprach.
Friedensbotschaft bleibt aus
Sein vorbereitetes Manuskript enthielt eine klare Friedensbotschaft. Am Ende hieß es: "Jetzt gibt es wie zur Zeit der Erscheinungen Krieg. Die Gottesmutter hat uns ersucht, den Rosenkranz für den Frieden zu beten. (...) Vereinen wir die Herzen, beten wir für den Frieden..." Doch der Papst ignorierte den vorbereiteten Redetext fast vollständig. Schon nach wenigen Sätzen wich er davon ab und sprach frei in seiner Muttersprache Spanisch, die auch von vielen Portugiesen hinreichend verstanden wird.
Vatikan-Sprecher Matteo Bruni erklärte im Nachgang, der Papst habe in Stille und "mit Schmerz" für den Frieden gebetet, wie dieser ihm selbst gesagt habe. Auf Online-Kanälen des Kirchenoberhaupts erschien ein Foto, das Franziskus vor der Marienstatue in Fatima zeigt. "Oh Maria (...), wir weihen dir die Kirche und die Welt, insbesondere die Länder, die sich im Krieg befinden", stand daneben.
Augenprobleme oder zu hell?
Dass sich der Papst in Portugal nicht mehr an seine Reden hält, könnte nach Meinung von Beobachtern etwas mit Augenproblemen zu tun haben. "Meine Scheinwerfer funktionieren nicht", scherzte er am Freitag bei einem Besuch in einem Sozialzentrum und deutete auf seine Brille. Sprecher Bruni machte hingegen den Effekt einer zu intensiven Beleuchtung für die Sehprobleme verantwortlich.
Portugal, wo noch bis Sonntag der Weltjugendtag mit Hunderttausenden jungen Menschen aus allen Kontinenten stattfindet, ist die erste Papstreise nach einer umfangreichen Bauchoperation im Juni. Kurz vor dem Eingriff ging ein Foto durch die Medien, das ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht zeigt, während ihm aus seinem Rollstuhl geholfen wird.
Hellwach und mitreißend
Seit der OP scheint es ihm besser zu gehen. Bei seinen Auftritten vor den Jugendlichen in Lissabon wirkt er oft hellwach und mitreißend. Er hielt eine ermutigende Rede zu Europa und traf Missbrauchsbetroffene ebenso wie junge Menschen aus der Ukraine.
In Fatima betete Franziskus mit rund 100 kranken Jugendlichen und sechs Gefängnisinsassen den Rosenkranz, eine Abfolge von "Vaterunser" und "Ave Marias". Etwa 200.000 Pilgerinnen und Pilger schlossen sich vor Ort murmelnd an, während es kleine Ascheflocken von einem nahegelegenen Waldbrand auf die Menge herabrieselte – keine Seltenheit zu dieser Jahreszeit.
Manche Anwesende hielten Rosenkranzketten in den Händen, deren Kugeln sie während des Betens abzählten. Einige trugen T-Shirts und Hüte vom Weltjugendtag, der zeitgleich im 120 Kilometer entfernten Lissabon weiterging.
Marienheiligtum Fatima
Das Heiligtum von Fatima besuchte Franziskus zum zweiten Mal. Genau an der Stelle, wo er am Samstag das Rosenkranzgebet leitete, soll im Ersten Weltkrieg drei Hirtenkindern die Gottesmutter Maria erschienen sein. Strahlender als die Sonne sei sie gewesen, berichteten die beiden Mädchen und der Junge zwischen sieben und zehn Jahren. Die Kinder wurden bald berühmt, zumal sich die Erscheinungen im Monatsrhythmus bis Oktober 1917 wiederholten und mit düsteren politischen Prophezeiungen verbunden waren.
Heute markieren die sogenannte Erscheinungskapelle und eine Marienstatue den Ort des Geschehens. Die Figur hatte zuletzt im März 2022 einen großen Auftritt, als sie für ein Friedensgebet zeitweise in den Vatikan gebracht wurde. Eindringlich trug der Papst im Petersdom seine Bitten vor und weihte die Menschheit – insbesondere die Ukraine und Russland – der Muttergottes.
Fromme Botschaften
Am Samstag lag der Fokus weniger auf politischen und umso mehr auf frommen Botschaften. Maria sei in Fatima auf besondere Weise anwesend, sagte Franziskus. "Sie zeigt auf Jesus, und vielleicht zeigt sie auch auf etwas in unserem Herzen?", fragte Franziskus.
Existenzielle Fragen stellte er ebenso am Vorabend beim Kreuzweg in Lissabon. "Weine ich manchmal? Gibt es Dinge in meinem Leben, die mich zum Weinen bringen?", fragte er die Jugendlichen. "Wir alle haben im Leben schon einmal geweint, und wir weinen immer noch." Die Worte entfalteten ihre Wirkung. "Ich hatte eine Gänsehaut", sagte zum Beispiel der 21-jährige Rafael aus den USA danach. "Den Papst oben auf der Bühne zu sehen und die Musik – es fühlte sich fast so an, als wäre Jesus in diesem Moment anwesend."