Die Kölner wissen: Wenn sie die Spitzen ihres Domes sehen, sind sie wieder zu Hause. Touristen kommen aus der ganzen Welt, um das Gotteshaus zu besichtigen, das zum Weltkulturerbe gehört.
Erzbischof Konrad von Hochstaden legte am 15. August 1248, vor 775 Jahren, den Grundstein für die gotische Kathedrale, die zu den schönsten der Welt zählt.
"Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld?", heißt es in einem bekannten Kölner Karnevalslied. Die Frage hat Ewigkeitswert. Genau sie stellte sich auch das Kölner Domkapitel, als sie damals den Bau einer neuen Kathedrale planten.
Wer hat die wichtigsten Reliquien?
Zwar hatten die Erzbischöfe das Projekt angeregt, für die Umsetzung jedoch war das Domkapitel als Bauherr verantwortlich. Die Herren hatten ehrgeizige Pläne, denn sie orientierten sich an den neuen, imposanten gotischen Kirchen in Chartres, Reims und Amiens. Um das Projekt zu finanzieren, setzten sie auf die Großzügigkeit der Menschen - so wie auch an anderen Orten.
In Sachen Fundraising standen die Kirchen damals miteinander im Wettstreit. Entscheidend war die Frage: Wer hat die wichtigsten Reliquien? Die Menschen waren bereit, weite Wege auf sich zu nehmen, um die Reliquien von Heiligen zu verehren, auf deren Fürsprache sie hofften oder von denen sie sich ein Wunder wünschten. Für sie war eine Spende völlig selbstverständlich - zumal im Mittelalter die Unterstützung des Kirchenbaus zu den sogenannten Werken der Frömmigkeit zählte.
Köln konnte gut mithalten: Schon damals rühmte sich die Stadt als "Hilliges Köln". Schließlich wurden in der Bischofskirche die Gebeine der Heiligen Drei Könige aufbewahrt - die "noch den Herrn im Fleisch gesehen haben", wie es im Dom Anfang des 16. Jahrhunderts auf einem Werbeplakat für Ablässe hieß.
Heute bekommt man eine Spendenquittung für das Finanzamt, im Mittelalter erhielten die Menschen einen Ablass. Damit konnten sich die Wohltäter des Doms eine Art Guthaben für das Jenseits erwerben.
Das sollte ihnen helfen, die gefürchtete Zeit im Fegefeuer zu verkürzen oder möglichst ganz zu vermeiden.
Ablässe ausgestellt
Verschiedene Kölner Erzbischöfe, aber auch die Päpste stellten Ablässe aus, um die Spendenfreudigkeit der Menschen anzuregen und zu belohnen. Erzbischof Engelbert II. begann 1264 damit, Almosenfahrten in seiner Diözese zu organisieren. Er schickte also Beauftragte los, die in den Kirchen vor Ort den "Bettelbrief" des Erzbischofs verlasen und Spenden einsammelten.
Diese Almosenfahrten wurden regelmäßig bis in die 1520er Jahre durchgeführt. Die Beauftragten führten dabei verschiedene Heiligtümer mit, unter anderem Reliquien des heiligen Antonius, der bei Vergiftungen durch Mutterkorn angerufen wurde oder des heiligen Hubertus, der als Schutzpatron gegen Tollwut helfen sollte. Für die Betroffenen war das in jenen Zeiten ohne ärztliche Grundversorgung oftmals die einzige Hoffnung.
Vor einigen Jahren wurde in der Kölner Universitätsbibliothek im Einband einer alten Handschrift besagtes Werbeplakat für die Ablässe im Kölner Dom gefunden, das aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts stammt. Ein solches Plakat (Ablasssummarium) wurde an verschiedenen Stellen im Dom aufgehängt, gerne direkt über einem Opferstock. In diese Opferstöcke warfen die Menschen nicht nur Geld; auch Ringe wurden in den Abrechnungen erwähnt.
Finanzierungsmodell brach zusammen
Manfred Huiskes, langjähriger Archivar im Historischen Archiv der Stadt Köln, hat bei der Durchsicht der wenigen erhaltenen Abrechnungen der Domfabrik festgestellt, dass für die Finanzierung des Kölner Dombaus die Bettelfahrten von entscheidender Bedeutung waren. Die Spenden in den Opferstöcken waren allein längst nicht so ergiebig.
Als die Reformation diese besondere Form der Schwarmfinanzierung - Ablass gegen Spende - als unmoralisch brandmarkte, blieb das nicht ohne Folgen für das katholische Köln: Auch dort ließ man sich nicht mehr mit Ablässen zu Spenden verleiten. Nach Ausweis der Rechnungen für den Bau brach dieses Finanzierungsmodell Mitte der 1520er Jahre zusammen. Und der Kölner Dom blieb bis ins 19. Jahrhundert unvollendet. Als man dann wieder an die Großzügigkeit der Menschen appellieren wollte, setzte man nicht auf Ablässe, sondern auf eine Dombaulotterie.