Es war ein zäher Kampf, doch künftig soll jeder Mensch in Deutschland seinen eigenen Geschlechtseintrag und Vornamen selbst festlegen und ändern können. Das Bundeskabinett hat dazu das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht. Was heißt das konkret?
Wen betrifft das Gesetz?
Das Gesetz richtet sich laut Familien- und Justizministerium an transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen. "Trans" sind laut Gesetzentwurf Personen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. "Inter" bedeutet angeborene körperliche Merkmale zu haben, "die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als (nur) männlich oder (nur) weiblich einordnen lassen". "Nicht-Binär" wird als Selbstbezeichnung für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, definiert.
Wie funktioniert das Gesetz genau?
Möchte jemand seinen Geschlechtseintrag ändern, müssen demnach künftig eine Erklärung und eine Eigenversicherung beim Standesamt abgegeben werden. Dies geschieht unabhängig davon, ob Betroffene sich bereits medizinischen Behandlungen zur Geschlechtsangleichung unterzogen haben oder nicht.
Dürfen Minderjährige sich auch Geschlecht und Vornamen aussuchen?
Es gibt kein Mindestalter, ab wann der Eintrag geändert werden kann. Kinder und Jugendliche können ihren Geschlechtseintrag jedoch nicht selbstständig ändern. Bis 14 Jahre müssen die Sorgeberechtigten die Erklärung gegenüber dem Standesamt abgeben, danach müssen die Sorgeberechtigten nur noch zustimmen. Ausnahmen kann es nur geben, wenn Eltern mit ihrer Haltung das Kindeswohl gefährden.
"Die Altersgrenzen, über die wir hier sprechen, sind die üblichen Altersgrenzen, die für die allerallermeisten anderen Entscheidungen gelten, die Eltern für oder mit ihren Kindern treffen", sagt Justizminister Marco Buschmann (FDP). "Wir gehen davon aus, dass niemand so sehr um das Kindeswohl bemüht ist, wie die eigenen Eltern." Sollten Eltern ihre Rechte doch missbrauchen, habe der Staat Möglichkeiten dagegen vorzugehen - beispielsweise durch Jugendämter oder Familiengerichte.
Was war denn die bisherige Regelung in Deutschland?
Bislang gilt das sogenannte Transsexuellengesetz. Viele Transmenschen empfinden dieses als demütigend. Es sieht etwa vor, dass Betroffene Vornamen und Geschlecht erst nach einem psychologischen Gutachten und einer gerichtlichen Entscheidung offiziell ändern dürfen. Dabei müssen sie sich oft sehr intime Fragen gefallen lassen. Das Verfahren ist zudem langwierig und kostspielig. Das Bundesverfassungsgericht hatte mehrfach wesentliche Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
In der Schweiz ist der Geschlechtseintrag im Personenregister problemlos möglich. Die Schweiz erlaubt jedoch nur die Kategorien "männlich" und "weiblich". Innerhalb der ersten zwölf Monate wurden nach Angaben des Bundesamtes für Statistik 1171 Geschlechtsänderungen registriert. Betrügereien im großen Stil sind nicht bekannt. Missbrauch ist strafbar, aber schwer nachzuweisen.
In der EU haben auch Länder wie Irland, Dänemark oder Portugal bereits Selbstbestimmungsgesetze eingeführt. Zudem gibt es auch in Argentinien und Uruguay solche Gesetze.
Können sich Personen durch die Änderung des Geschlechtseintrags künftig Vorteile erschleichen?
Solche Kritik kommt vor allem immer wieder von der Union und der AfD. "So überlässt das Gesetz dem Bademeister oder dem Fitnesstrainer, ob eine Transperson in die Frauenumkleide darf", sagt die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Silvia Breher. Auch Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hatte vor Gefahren für Frauen etwa in Frauensaunen gewarnt.
Für die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman ist dies eine irrationale Debatte. "Wir haben in Deutschland überwiegend gemischtgeschlechtliche Saunen. Kein Mann muss seinen Geschlechtseintrag ändern lassen, um in Deutschland eine nackte Frau zu sehen", sagt sie. Aus der FDP-Organisation "Liberale Schwule, Lesben, Bi, Trans und Queer" heißt es, das geplante Gesetz berücksichtige alle Eventualitäten, um Missbrauch insbesondere durch Cis-Männer zu verhindern.
In dem Gesetz heißt es unter anderem, dass ein eingetragenes Geschlecht einem nicht automatisch Zugang zu geschützten Räumen gibt. Es soll weiterhin das private Hausrecht gelten, also das Recht des Inhabers, darüber zu bestimmen, wer beispielsweise seine Wohnung oder Geschäftsräume betritt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz schützt jedoch transgeschlechtliche Personen vor Diskriminierung - sie dürfen nicht aufgrund ihres Geschlechts abgelehnt werden.
"Änderungen des Geschlechtseintrags gibt es ja schon länger und es ist so gut wie nie zu Problemen gekommen", sagt auch Justizminister Buschmann. Er weist darauf hin, dass sich viele Transmenschen durch die Debatten verletzt fühlten. "Denn sie erwecken manchmal den Eindruck, den Betroffenen werde eine erhöhte Gewaltbereitschaft unterstellt. Das ist aber in keiner Weise der Fall."
Können Kriminelle das Gesetz missbrauchen?
Das Bundeskriminalamt hatte zunächst Sorge geäußert, dass straffällige Personen mit dem Gesetz einfach ihren Namen ändern könnten, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Dies scheint nun geklärt: Voraussichtlich sollen zuständigen Standesämter die Daten bei den Anträgen an die Meldebehörden, also auch die Strafverfolgungsbehörden, weitergeben. Diese schauen dann, ob gegen die Person bereits ein Verfahren oder eine Fahndung läuft. Ist das nicht der Fall, sollen die Daten direkt wieder gelöscht und nicht gespeichert werden. Falls es doch der Fall ist, wissen die Sicherheitsbehörden, dass die Person einen neuen Namen angenommen hat, und können das registrieren.
Wie oft kann der Eintrag denn geändert werden?
Theoretisch können Betroffene den Eintrag ändern, so oft sie wollen. Doch das Gesetz soll eine Sperrfrist vorsehen - erst nach einem Jahr soll eine erneute Änderung möglich sein.
Laut dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) liegt der Anteil der Personen, die bislang eine Änderung des Namens oder Geschlechts-Eintrags wieder rückgängig machen, konstant bei etwa ein Prozent.
Droht eine Geldstrafe, wenn jemand einen Trans-Menschen mit dem Geburtsnamen anspricht?
Es soll nicht generell verboten werden, Betroffene mit früheren Namen oder Pronomen anzusprechen. Bei einem vorsätzlichen wiederholten und besonders intensiven Verhalten könnte es sich aber um Mobbing handeln, das rechtlich beispielsweise unter Beleidigung fallen könnte. Die wiederum kann Paragraf 185 des Strafgesetzbuches zufolge auch mit einem Bußgeld bestraft werden.
Tatsächlich könnte dem Selbstbestimmungsgesetz zufolge ein Bußgeld in Höhe von bis zu 10 000 Euro drohen - aber nicht, wenn man Betroffene einfach nur mit falschem Namen anspricht. Die Strafe ist vielmehr geplant bei einem Verstoß gegen das sogenannte Offenbarungsverbot. Demnach dürfen Menschen frühere Geschlechtseinträge ohne Zustimmung der Betroffenen nicht offenbaren oder ausforschen. Das regelt bereits seit 1981 Paragraf 5 des Transsexuellengesetzes.
Autorin: Stella Venohr, dpa