Russische Kirche reagiert auf Kontroverse um Papstworte

"Die eigene Geschichte anerkennen"

"Ihr seid Erben der großen Mutter Russland, macht weiter damit." Diese Worte des Papstes an russische Jugendliche sorgen seit dem Wochenende für Aufregung. Der Generalsekretär der russischen Bischofskonferenz erklärt die Hintergründe.

Papst Franziskus setzt Kopfhörer auf (Archivbild) / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus setzt Kopfhörer auf (Archivbild) / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Franziskus hat sich in einer Videoschalte bei einem katholischen Jugendtreffen in Sankt Petersburg geäußert. Wörtlich sagte er "Vergesst niemals das Erbe. Ihr seid Erben des großen Russlands: des großen Russlands der Heiligen, der Könige, des großen Russland von Peter dem Großen, von Katharina II." Dieses Reich habe eine große Kultur und "viel Menschlichkeit" besessen. "Ihr seid Erben der großen Mutter Russland, macht weiter damit. Und danke. Danke für Eure Art zu sein, für Eure Art, Russe zu sein". Diese Worte haben seit dem Wochenende eine große Kontroverse ausgelöst. Was war das für ein Treffen? Was für ein Kontext?

Stephan Lipke SJ / © Oxana Pimenowa/Russische Bischofskonferenz
Stephan Lipke SJ / © Oxana Pimenowa/Russische Bischofskonferenz

Stephan Lipke SJ (Generalsekretär der russischen Bischofskonferenz): Die vieldiskutierten Worte des Papstes, die ich hier nicht zu kommentieren brauche, fielen spontan gegen Ende einer Videoschalte, nach seiner Katechese und einigen Antworten auf Fragen junger Menschen. Der Papst hat sich mit den etwa 300 jungen Katholikinnen und Katholiken verbinden lassen, die vom letzten Mittwoch bis Sonntag versammelt waren.

Anlass für das Treffen war, dass nur sehr wenige russische Jugendliche zum Weltjugendtag nach Lissabon fahren konnten, deshalb waren alle nach Sankt Petersburg eingeladen. Dort war jeden Tag Messe, von Donnerstag bis Sonntag Katechesen in kleinen Gruppen, Treffen, Anbetung, Beichtgelegenheit – wie bei einem Weltjugendtag im Kleinen. Und ein Punkt war eben die Videoschalte am Freitag in der Basilika St. Katharina, mitten in der Stadt.

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche ist eine Minderheit in Russland. Welche Bedeutung hat es, dass der Papst sich jungen russischen Katholiken zuwendet?

Lipke: Katholiken sind in Russland eine kleine Minderheit. Deshalb ist es wichtig, dass die Weltkirche sie nicht vergisst. Vor ungefähr 15 Jahren gab es eine Videoschalte mit Benedikt XVI., von der wird immer noch geredet.

DOMRADIO.DE: Wie sind die Worte des Papstes bei den Jugendlichen angekommen? Wie ordnen sie diese Worte aus der russisch-katholischen Innensicht ein?

Lipke: Wie die Worte bei den jungen Menschen angekommen sind, kann ich nicht sagen, denn ich musste am selben Abend nach Moskau abreisen. Ich hatte das Gefühl, als Worte sind sie ein bisschen untergegangen, denn in der Kirche war es ziemlich hallig.

Was von ihnen bleiben wird, ist sicher der Aufruf, die eigene Geschichte nicht zu verleugnen oder zu ignorieren, wie es die Bolschewiken versucht haben, sondern sie anzuerkennen und eigenständig zu durchdenken. Und vielleicht ist es ja so, wie der langjährige Lagerhäftling Warlam Schalamow an Boris Pasternak, den Autor von "Doktor Schiwago", geschrieben hat – ich zitiere sinngemäß: "Im 19. Jahrhundert musste man sich nicht schämen, Russe zu sein, weil es Lew Tolstoi gab, und heute muss man sich nicht schämen, weil es Sie gibt".

Warum? Weil beide aus Liebe zum Menschen die Geschichte und die Gegenwart ehrlich angenommen haben und versucht haben, sie zu verstehen. Und diese und ähnliche Elemente von "Humanität", wie der Papst sagt, und von "Aufklärung", das heißt von "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Abhängigkeit" (Kant) in der russischen Literatur, Kunst, Musik usw. – die gilt es zu bewahren und neu zu entdecken.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Debatte um Papstworte zu Russland

Nach starker Kritik an den positiven Worten von Papst Franziskus über Russland hat ein ukrainischer Bischof das Kirchenoberhaupt in Schutz genommen. Der römisch-katholische Bischof von Kiew, Witalij Krywyzkyj, erinnerte am Dienstagabend auf Facebook daran, dass Franziskus die Ukraine wiederholt unterstützt habe, auch mit unerwarteten Gesten. Zugleich fragte er jene Katholiken, die jetzt bereit seien, den Papst zu "kreuzigen", ob sie dessen spirituellen Rat befolgt hätten, als er das größte Vertrauen unter den religiösen Führern in der Ukraine genoss.

Papst Franziskus / © Romano Siciliani/Vatican Media (KNA)
Papst Franziskus / © Romano Siciliani/Vatican Media ( KNA )
Quelle:
DR