Künstliche Intelligenz gibt es nun auch katholisch

"Magisterium AI" - das digitale Lehramt?

ChatGPT ist in wenigen Monaten zu einem Welthit geworden. In Fachbereichen wie der katholischen Kirche stößt Künstliche Intelligenz aber immer noch an ihre Grenzen. Ein neues Programm will das ändern. Experten bleiben aber skeptisch.

Autor/in:
Renardo Schlegelmilch
Symbolbild Computer und Kirche / © Robert Przybysz (shutterstock)
Symbolbild Computer und Kirche / © Robert Przybysz ( shutterstock )

Ist es der Umbruch zu einem neuen Zeitalter der Erleuchtung oder der Beginn der Apokalypse? Die Emotionen laufen heiß, wenn es um Künstliche Intelligenz wie "ChatGPT" geht. Schüler auf der ganzen Welt lassen sich Aufsätze schreiben, Journalisten tragen Informationen zusammen und in so manch politischer Rede findet sich sicher auch der ein oder andere Absatz, der von der KI stammt.

Symbolbild Künstliche Intelligenz / © Willyam Bradberry (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © Willyam Bradberry ( shutterstock )

Je spezifischer der Anwendungsbereich wird, desto mehr stößt die KI jedoch vor ein Problem: Halluzinationen. So wird in der Programmierwelt das Phänomen genannt, dass KI-Apps keine Antworten recherchieren, sondern anhand unzähliger Beispiele erraten, welche Antwort gewünscht und erwartet ist. Je spezifischer und abstrakter der Wissensbereich ist, umso höher also auch die Gefahr für Falschaussagen.

Das digitale Magisterium

Im katholischen Bereich will nun das Programm "Magisterium AI" Abhilfe schaffen, das gerade in der Beta-Version getestet wird. Mit dem Begriff Magisterium wird im Englischen allgemein für das katholische Lehramt und die Theologie als Wissenschaft bezeichnet. Dem zu Grunde liegt der lateinische Begriff "Magisterium ecclesiae", Lehramt der Kirche.

Der Clou von "Magisterium AI": Das Programm bezieht seinen Datensatz nicht wie andere Systeme aus unzähligen anonymen Internetquellen, sondern nur aus offiziellen katholischen Dokumenten und Lehrschreiben. Das soll jedem katholisch Interessierten in Zukunft qualifizierte Antworten auf fachlich spezifische Fragen liefern können.

"Gamechanger" für die Kirche?

Matthew Sanders ist Gründer und Geschäftsführer von "Longbeard" der Technologiefirma, die "Magisterium AI" entwickelt. Gegenüber dem katholischen US-Magazin Crux zeigt er sich optimistisch. "Auch wenn das Thema Künstliche Intelligenz große Ängste auslöst, glauben wir, dass es auch ein machtvolles Instrument sein kann, die (katholische) Wahrheit zu verkünden." Das könne ein "Gamechanger" für die Kirche werden, so Sanders.

Die App wird auf der Grundlage einer begrenzten Anzahl offizieller kirchlicher Dokumente trainiert und kann – ähnlich wie die säkulare Konkurrenz – auf Fragen in natürlicher, menschlicher Art und Weise in Textform antworten. Laut Sanders eine wichtige und nützliche Hilfe für Forscher, Kirchenrechtler, Studenten und jeden, der sich für die katholische Kirche interessiert.

Stefan Lesting (DR)
Stefan Lesting / ( DR )

"Nur eine Frage der Zeit"

Dass die KI die katholische Kirche erreicht, sei nicht wirklich überraschend und war nur eine Frage der Zeit, sagt der katholische Medienexperte Stefan Lesting, der den Bereich seit Jahren beobachtet. KI bewege sich immer mehr in gesellschaftliche Nischen hinein und liefere dort durchaus einen großen Mehrwert, auch für kleinere Nutzergruppen, so Lesting gegenüber DOMRADIO.DE: "Gerade in Deutschland haben wir dies bei der Drogeriekette "DM" gesehen, die eine KI für Ihre Mitarbeiter aufgesetzt hat. Die KI ist mit Wissen aus dem Unternehmen trainiert und greift auf "echte" Informationen des Unternehmens zurück."

Da wie beim Drogeriemarkt der Datensatz für die katholische KI naturgemäß kleiner ist als bei Google oder ChatGPT, wirke das Produkt ein wenig schwerfälliger, allerdings mindere dies laut Firmenchef Sanders signifikant das Risiko, dass die App "halluziniert" und sich aufgrund schlechter Quellen falsche Informationen zusammenreimt. Die Programmierer hätten aus diesem Grund auch Fußnoten eingebaut, die die Quelle einer Information zurückverfolgen ließen.

Kein Ersatz für das Lehramt

"Die Antworten sind nicht perfekt und das ist natürlich kein Ersatz für das kirchliche Lehramt", so Sanders, "aber ich glaube das kann zu einem sehr hilfreichen Werkzeug werden." Im Moment umfasse der Datensatz über 2.500 kirchliche Dokumente, so Sanders gegenüber Crux.

Obwohl "Magsterium AI" im englischsprachigen Raum entwickelt wird, soll die App Antworten in zehn Sprachen liefern können, darunter Deutsch, aber auch Russisch, Chinesisch und Koreanisch.

Deutsche Kirche liegt "Jahrzehnte" zurück

Aber selbst wenn die Anwendungsoberfläche vielleicht auf Deutsch bedient werden kann, im Blick auf eine Ausweitung auf Datensätze aus der katholischen Kirche in Deutschland ist der Medienexperte Lesting skeptisch. Hierzulande fehle einfach die digitale Datenbasis. "In diesem Bereich liegt die Katholische Kirche im deutschsprachigem Raum Jahrzehnte zurück und müsste hier viel konsequenter eine valide Datenbasis schaffen, um einen Mehrwert für die Gläubigen zu entwickeln."

Stefan Lesting

"(Hier) liegt die Katholische Kirche im deutschsprachigem Raum Jahrzehnte zurück."

Es sind aber nicht nur die kirchlichen Lehrschreiben, sondern auch die Archive verschiedener katholischer Institutionen, auf die "Magisterium AI" zugreift. Dazu gehört unter anderem das päpstliche Orientinstitut in Rom, das die größte Sammlung an Schriften über die Ostkirchen beheimatet. Das Netzwerk der Einrichtungen, auf die die katholische Intelligenz zugreift, wachse stetig und umfasse eine große Anzahl von Quellen, die nicht öffentlich über das Internet zugänglich seien. Laut Geschäftsführer Sanders seien bald auch Kooperationen mit weiteren päpstlichen Einrichtungen in der näheren Zukunft geplant.

Eine wirklich breite Öffentlichkeit erwarten die Programmierer für die katholische KI allerdings nicht. Die Bedienung sei eher komplex und richte sich mehr an ein Fachpublikum als an Laien. Aber Neugierige könnten darüber theoretisch auch Fragen stellen, wie: Warum gibt es in der Kirche ein Zölibat? Oder: Wie wird ein Papst gewählt? Dafür sei die KI ein kompetenter Auskunftgeber.

Kirche bleibt Nischenmarkt

Ob "Magisterium AI" zum großen Kassenschlager wird, da ist Medienexperte Lesting eher skeptisch: "Die Frage ist, ob diese Idee massentauglich oder am Ende nur ein Nischenprodukt sein wird." Viel intelligenter wäre es, kein neues Produkt zu entwickeln, sondern auf bereits existierende Softwaremodelle zu setzen und diese für den katholischen Bereich anzupassen. "Technisch gesehen ist das schon heute möglich, wie uns erste Experimente im karitativen oder auch im katholischen Bildungsbereich zeigen. Trotzdem ist hier noch viel Entwicklungsspielraum vorhanden."

Stefan Lesting

"Die wichtigsten Betriebssysteme (...) kommen von Google, Apple und Microsoft und nicht von der Katholischen Kirche."

Am Ende würden es die großen Namen der Tech-Industrie sein, die auch den Bereich KI prägen, und nicht die kleinen Nischenprodukte, so Lesting. Die Erfahrung habe die Technologiewelt auch in anderen Bereichen gemacht. "Die wichtigsten Betriebssysteme für Smartphones und Notebooks kommen von Google, Apple und Microsoft und nicht von der Katholischen Kirche."

Experten mahnen Fokus auf Risiken von Künstlicher Intelligenz an 

Eine Reihe führender Experten für Künstliche Intelligenz sieht in der Technologie eine potenzielle Gefahr für die Menschheit und hat dazu aufgerufen, die Risiken ernst zu nehmen. Zu den Unterzeichnern der kurzen Stellungnahme gehört auch der Chef des ChatGPT-Erfinders OpenAI, Sam Altman. Der Chatbot ChatGPT, der Sätze auf dem Niveau eines Menschen formulieren kann, löste in den vergangenen Monaten einen neuen Hype rund um Künstliche Intelligenz aus.

Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser ( shutterstock )
Quelle:
DR