Klosterleben als Selbstversuch

Allein unter Benediktinern

Die Zahl der Ordensleute geht rapide bergab. Viele Gemeinschaften müssen ihre Häuser schließen. Liegt es an den strengen Klosterregeln? Unser Redakteur Renardo Schlegelmilch hat sich für eine Woche ins Kloster Ettal begeben.

Autor/in:
Renardo Schlegelmilch
Die Klausur der Mönche / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Die Klausur der Mönche / © Renardo Schlegelmilch ( DR )
Renardo Schlegelmilch im Kloster Ettal / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Renardo Schlegelmilch im Kloster Ettal / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Um 5:40 Uhr schrillt die Hausglocke. So laut, dass man fast im Bett sitzt. Und das ist noch spät. Wenn Bayern Ferien hat, dann werden die Laudes, das Morgengebet, von 5:15 Uhr auf 6 Uhr geschoben. Die Langschläferwochen im Mönchsleben. 15 Minuten sind jetzt Zeit, um wach zu werden und sich fertig zu machen, bevor die zweite Glocke läutet und die Benediktinerbrüder und ihre Gäste in die Hauskapelle ruft.

"Es gibt einige, die gewöhnen sich nie dran", gesteht einer der Brüder. "Selbst nach Jahren des Ordenslebens." So guckt man um 6 Uhr, wenn über dem ruhigen Tal in den bayerischen Alpen noch alles dunkel ist, in einige verschlafene Augen. Jetzt heißt es 45 Minuten beten: Bibeltexte, Gesänge, hinsetzen und aufstehen, Vaterunser. Draußen geht währenddessen allmählich die Sonne auf.

Abtei mit Tradition

Das Benediktinerkloster Ettal hat eine lange Tradition. Bereits im 14. Jahrhundert wurde es von Kaiser Karl IV. auf dem Rückweg aus Rom gegründet. Mit Ausnahme der Jahrzehnte der Säkularisierung im 19. Jahrhundert hat es hier seitdem konstant monastisches Leben gegeben. 40.000 Touristen aus aller Welt statten den Benediktinern Jahr für Jahr einen Besuch ab, beachtliche Zahlen für so einen abgelegenen Ort, der noch nicht mal mit der Bahn zu erreichen ist.

Die barocke Basilika des Klosters / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Die barocke Basilika des Klosters / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Der Besuch lohnt sich allerdings. Die imposante weiße Basilika ist schon von weitem zu sehen und birgt in sich Kunstschätze aus hunderten von Jahren. Die barocke Gestaltung mit dem Stuck, Gold und den Deckengemälden ist so sicher kein zweites Mal zu finden. Umso beeindruckender ist der Gedanke, dass dieser Anblick für die Brüder zum Alltag gehört. Jahrhunderte voller Kunst und Geschichte als ständiger Begleiter.

Kloster Ettal / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Kloster Ettal / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Besinnung auf Umwegen

Schon lange hatte ich überlegt, mal ein paar Besinnungstage im Kloster zu verbringen. Keine Termine, keine Arbeit, kein Stress der Außenwelt. Ich bin ganz ehrlich: Wirklich mit dem Ziel der spirituellen Erleuchtung bin ich nicht hier hergekommen. Was ich in der vergangenen Woche allerdings in der Benediktinerabtei erlebt habe, war dann aber doch einiges tiefer und bewegender, als ich erwartet habe. Es war anstrengender, aber auch ertragreicher für Körper und Geist, als ich es mir hätte vorstellen können. Und das nicht nur, weil es im Tal so gut wie keinen Handyempfang gibt.

Nach Ettal zu kommen, ist erst mal gar nicht so einfach. Zumal die Zugstrecke von München nach Garmisch-Partenkirchen am Wochenende meiner Anreise wegen Bauarbeiten gesperrt war. Mehrere Busse und eine Zwischenübernachtung hat es gebraucht, um von Köln in die kleine Alpengemeinde Ettal zu kommen.

Das Kloster Ettal liegt direkt an der B23 / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Das Kloster Ettal liegt direkt an der B23 / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Steht man an der großen Bundesstraße B 23, die das Kloster auf der rechten Seite vom Dorf auf der linken Seite trennt, bekommt man den Eindruck, dass die Anlagen der Abtei mit Klosterbrauerei, Bauernhof und Gewächshäusern größer ist als der eigentliche Ort Ettal. Das ist auch keine Überraschung. Während das Kloster an dieser Stelle bereits seit knapp 700 Jahren steht, ist das Dorf mit ein paar Hundert Einwohnern erst gut hundert Jahre alt und hat sich im 19. Jahrhundert zur Säkularisierung im Tal angesiedelt.

Gäste mit in der Klausur

Tür zur Klausur der Mönche - Normalerweise bleiben Fremde draußen / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Tür zur Klausur der Mönche - Normalerweise bleiben Fremde draußen / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Was Ettal von vielen anderen Benediktinerabteien unterscheidet, ist, dass hier die Gäste gemeinsam mit den Mönchen in der Klausur wohnen. Zwar in Gästezimmern, aber nicht in einem eigenen Gebäude. Laut Ordensgründer Benedikt von Nursia soll der Ordensbruder Jesus im Abt sehen, außerdem in den Mitbrüdern und auch in den Gästen, weshalb die Benediktiner auch Fremde in ihre Mitte aufnehmen. Usus ist es in Ettal deshalb auch, dass der Abt jeden Morgen nicht mit den Brüdern, sondern mit den Gästen gemeinsam am Frühstückstisch sitzt.

Gästezimmer im Kloster Ettal / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Gästezimmer im Kloster Ettal / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Schon eine halbe Stunde nachdem ich mein bodenständig, aber ausreichend eingerichtetes Gästezimmer bezogen habe, geht es zum Mittagsgebet in die Hauskapelle. Insgesamt verbringt man als Gast jeden Tag mindestens fünf Stunden gemeinsam mit den Mönchen – im Gebet, im Gottesdienst und beim Essen im Refektorium, das im Schweigen eingenommen wird und auch nach klar strukturierten Regeln abläuft.

Die Orden der katholischen Kirche bekommen immer größere Nachwuchsprobleme. Im Vergleich zu anderen Gemeinschaften wirkt die Brüdergemeinschaft in Ettal vom Alter her noch gut aufgestellt. Es gibt junge, mittlere und alte Brüder. Im Gegensatz zu anderen Orden bindet sich ein Benediktiner sein Leben lang nicht nur an einen Orden, sondern an ein konkretes Kloster. Da staunt man als Gast schon ein wenig, wenn es im Nachruf eines Mitbruders heißt, er habe von den 1960ern bis 2018 in der Schlosserei eines Klosters gearbeitet.  

Liegt es nur am Zölibat?

Habit vor einer Mönchszelle / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Habit vor einer Mönchszelle / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Weshalb schreckt das Ordensleben ab? Es ist nicht nur – wie man vielleicht ahnen würde – der Zölibat, der am Ordensalltag herausfordert. Das merke ich in meiner Woche in Ettal ganz gut. Wenn man Morgengebet, Frühmesse und Frühstück hinter sich hat, ist es gerade mal acht Uhr und man kann mit dem Tag eigentlich viel anfangen. Aber Halt, Stopp! Spätestes um zwölf Uhr müssen wir wieder in der Kapelle zum Mittagsgebet sein. Gerne würde ich einmal ins nahegelegene Oberammergau wandern, wenn es zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück geht, wird das schon äußerst knapp. Man kann also im Klosterleben schwer Sachen planen, die länger als vier oder fünf Stunden in Anspruch nehmen.

Und abends? Nach dem Nachtgebet, der Komplet, ist gegen 20 Uhr eigentlich Nachtruhe angesagt. Irgendwann haben die Brüder aber eingesehen, dass man Gäste schlecht einsperren kann. Deshalb kann man sich schon für ein oder zwei Bier in den Dorfgasthof auf der anderen Straßenseite schleichen. Für die Mönche selber ist das aber eigentlich tabu.

Auszeit für Körper und Geist

Hat mich diese Erfahrung mit ihren festen Regeln und Entbehrungen nun so sehr geschockt, gestresst und eingeengt, dass ich nie wieder eine Auszeit im Kloster nehme? Nein, denn bei allen Entbehrungen war diese Woche auch sehr bereichernd. Viel Zeit zum Lesen, zum Nachdenken und auch zum In-Sich-Gehen auf spiritueller Ebene, also im Gebet. Auch wenn ich nicht mit diesem Ziel in die Abtei gekommen bin, habe ich einige neue Erkenntnisse über mich und meinen persönlichen Glauben gewonnen. Im Alltag ist das schon fast unmöglich, sich dafür genug Zeit und Ruhe zu nehmen.

Aber nicht nur meinem Geist, sondern auch meinem Körper hat die Woche im Kloster gut getan. Regelmäßige Tagesabläufe, eine ordentliche Ernährung. Im Kloster habe ich besser geschlafen als in den letzten Monaten in meinem eigenen Bett. Es ist also kein Wunder, dass viele Selbstständige und sogar Manager Auszeiten im Kloster schätzen.

Studien sagen übrigens, dass Ordensmänner und -frauen im Schnitt bis zu zehn Jahre älter werden als Menschen außerhalb des Klosters. Nach meiner Woche bei den Benediktinern kann ich das absolut nachvollziehen, obwohl ich mir trotzdem sicher bin: Als Ausnahme vom Alltag tut mir diese Zeit gut, länger als eine Woche wäre bei mir aber definitiv nicht drin. Womit ich nun heimfahre, ist ein neuer Respekt, den ich für alle Männer und Frauen gewonnen habe, die sich für ein Leben im Kloster entscheiden. Die nicht nur für eine Woche, sondern für ihr ganzes Leben diesen Weg gehen.

Benediktinerorden

Die Benediktiner sind die älteste heute noch bestehende klösterliche Bewegung der katholischen Kirche im Westen. Der Orden geht zurück auf die Regel des heiligen Benedikt von Nursia (480-547). In seiner heutigen Form wurde er 1893 von Papst Leo XIII. (1878-1903) gebildet. Als benediktinisch im weiteren Sinne gelten alle Ordensgemeinschaften, die nach der Regel Benedikts leben, etwa Zisterzienser und Trappisten.

Ein Benediktiner geht durch einen Klosterflur / © Simon Koy (KNA)
Ein Benediktiner geht durch einen Klosterflur / © Simon Koy ( KNA )
Quelle:
DR