Domkonzert mit Domchören und Gürzenich-Orchester

Musik gegen den Krieg

Zwei sehr unterschiedliche musikalische Statements für den Frieden erklingen an diesem Mittwoch im Kölner Dom. Ein Requiem von Max Reger und eine Vertonung der 60 Jahre alten Enzyklika "Pacem in terris" von Darius Milhaud.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Reger und Milhaud erfodern einen großen Chor und ein großes Orchester / © Beatrice Tomasetti (DR)
Reger und Milhaud erfodern einen großen Chor und ein großes Orchester / © Beatrice Tomasetti ( DR )

In den Ohren späterer Generationen muss es wie Hohn klingen, dass in Deutschland den Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 eine Welle nationaler Begeisterung begleitet. Bei dem sogenannten "August-Erlebnis", das bei vielen Menschen ein regelrechtes Glücksgefühl auslöst, wehen Fahnen, werden Gottesdienste gefeiert und Gottes Beistand für diesen Waffengang erbeten.

Max Reger, der 1873 in der Oberpfalz geborenen Komponist, Organist, Pianist und Dirigent, kann diesem Freudentaumel und Hurra-Patriotismus allerdings als einer von nur wenigen nichts abgewinnen. Er sehnt sich nach einem raschen Ende sinnloser Schlachten, wie später Briefe aus seinem Nachlass belegen.

Domkapellmeister dirigiert am Weihetag des Domes ein Friedenskonzert / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domkapellmeister dirigiert am Weihetag des Domes ein Friedenskonzert / © Beatrice Tomasetti ( DR )

In diesen ersten euphorischen Kriegswochen, die schon bald viele Opfer fordern, begibt er sich an zwei Kompositionen, die unmittelbar unter dem Eindruck dieses Krieges stehen: an das Requiem op. 144b für Alt (oder Bariton), Chor und Orchester auf das Gedicht von Friedrich Hebbel "Seele, vergiss sie nicht" und an das bedauerlicherweise auf Anraten seines Freundes Karl Straube, Thomaskantor in Leipzig, unvollendet gebliebene Requiem op. 145a, das Reger "dem Andenken der im Kriege gefallenen deutschen Helden" widmet und das als sein "lateinisches Requiem" in die Musikgeschichte eingehen soll.

Bereits bis November 1914 stellt er den ersten Satz, der Introitus – "Requiem aeternam – Te decet hymnus" – und Kyrie beinhaltet, sowie weite Teile des dann folgenden "Dies irae" fertig. Doch besagter Musikerkollege Straube, der im Gegensatz zu Reger Protestant und mit katholischer Tradition weniger vertraut ist, empfiehlt, von einer Vollendung abzusehen, und macht das unter anderem an den mangelnden Lateinkenntnissen Regers und damit einer nur unzulänglichen Ausgestaltungsfähigkeit, was das Wort-Ton-Verhältnis anbelangt, fest.

Das Requiem, für das der Komponist eine riesige orchestrale Besetzung vorsieht, um dem Anliegen eines dramatischen Geschehens auch in der Dynamik gerecht zu werden, bleibt daraufhin ein Fragment und wird bis zum heutigen Tag äußerst selten aufgeführt.

Domkonzert thematisiert den Frieden

Im Jubiläumsjahr Max Regers – 2023 jährt sich der 150. Geburtstag des Künstlers, der nur 43 Jahre alt wurde – hat Domkapellmeister Eberhard Metternich dieses äußerst anspruchsvolle Werk, das 1938 posthum in Berlin uraufgeführt wurde, aus der Versenkung geholt und aufs Programm des traditionellen "Großen Domkonzertes" just am Weihetag des Kölner Doms, dem 27. September, gesetzt.

Der Chor ist bei Reger und Milhaud sehr gefordert / © Beatrice Tomasetti (DR)
Der Chor ist bei Reger und Milhaud sehr gefordert / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Damit führt er die Akzentuierung der Friedensthematik in den Domkonzerten der letzten Jahre konsequent weiter und spricht von "hochaktueller Musik", die er immer auch als bewusstes Statement und Positionierung verstanden wissen will.

Metternich kombiniert diese Trauermusik mit einem weiteren, im Konzertsaal kaum gespielten Oratorium, das unter der Bezeichnung "Chor-Sinfonie" firmiert und ebenfalls die Besetzung mit Chor, Solisten und großem Orchester vorsieht.

Der französische Komponist Darius Milhaud, 1974 mit 82 Jahren verstorben, stützt sich bei seinem Werk "Pacem in terris" auf die gleichnamige Enzyklika von Papst Johannes XXIII., die dieser vor dem Hintergrund der Kuba-Krise und einem befürchteten dritten Weltkrieg 1963 veröffentlichte, als die beiden Supermächte USA und UdSSR bereits ihren Finger auf dem Knopf eines nuklearen Holocaust hatten.

Inmitten dieser globalen Bedrohungslage beschließt das katholische Kirchenoberhaupt, einen eindringlichen Appell an die "Verantwortlichen der Macht" zu richten. Er spricht auf Französisch, der Sprache der internationalen Diplomatie, und sagt: "Mit der Hand auf dem Gewissen sollen sie auf den verzweifelten Schrei hören, der von jedem Punkt der Erde, von unschuldigen Kindern bis zu alten Menschen, von Einzelnen bis zu Gemeinschaften, zum Himmel emporsteigt: Frieden! Frieden!" (…) "Wir bitten alle Regierungen, diesem Schrei der Menschheit gegenüber nicht taub zu bleiben."

Aufruf an alle Menschen guten Willens

Er tut etwas bis dahin nie Dagewesenes, indem er sich nicht nur an die römisch-katholische Kirche – das Episkopat der Weltkirche, den Klerus und die Gläubigen in aller Welt – richtet, sondern "an alle Menschen guten Willens".

Die Resonanz und Zustimmung auf die am Gründonnerstag 1963 veröffentlichte Enzyklika ist groß, so dass sich der Papst zwei Wochen später, gestärkt von so viel Zuspruch, bei der Generalaudienz nochmals mit einem unmissverständlichen Aufruf an die Öffentlichkeit wendet: "Kehrt zurück in eure Heimat, in euer Haus, und seid überall Träger des Friedens: des Friedens mit Gott im Heiligtum eures Gewissens, des Friedens in eurer Familie, des Friedens in eurem Beruf, des Friedens mit allen Menschen, soweit es von euch abhängt: So werdet ihr euch der Wertschätzung und Dankbarkeit aller und der Gunst des Himmels und der Erde sicher sein.

Domkapellmeister Metternich führt mit Milhauds Chorsinfonie ein sehr selten gespieltes Werk auf / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domkapellmeister Metternich führt mit Milhauds Chorsinfonie ein sehr selten gespieltes Werk auf / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Seid stets Wanderer des Friedens!" Johannes XXIII. will jeden Einzelnen in die Verantwortung nehmen, diese auf eine breite Basis gestellt sehen und nicht als Vorrecht des Gewissens der "Herrscher der Völker".

Wenige Wochen später ist der Papst tot. "Aber die Partitur seines ‚Pacem in terris’ bleibt eine universelle Sinfonie", schreibt Vatican News anlässlich des 60. Jahrestages der Veröffentlichung dieses Papstschreibens am 11. April dazu.

"Das gilt von der ersten Note aus dem Jahr 1962 an, die heute als Echo auf die zahlreichen Appelle von Franziskus an die Politiker und Verantwortlichen der internationalen Gemeinschaft zurückkehrt: Sie sollen alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Frieden zu retten. So werden sie der Welt die Schrecken eines Krieges ersparen, dessen entsetzliche Folgen niemand vorhersehen kann."

"Pacem in terris" als Grundlage einer Friedensethik

Die Friedensenzyklika, wie "Pacem in terris" auch genannt wird, hat bis heute Gültigkeit und wird als eines der großen Dokumente des 20. Jahrhunderts gefeiert. Sie schafft die Grundlage für einen Friedensdialog zwischen Christen und Menschen nichtchristlicher Weltanschauung und gilt damit als Basis für kirchliche und lehramtliche Äußerungen zur Friedensethik.

Die Altistin Elvira Bill gehört zu den Solisten dieses Konzertes / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Altistin Elvira Bill gehört zu den Solisten dieses Konzertes / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Pacem in terris" ist dem Überleben der Menschheit insgesamt und dem Beitrag des Christentums zu einer gerechten und friedlichen Weltordnung gewidmet. Indem "Pacem in terris" erstmals die Menschenrechte anerkennt, vollzieht der Vatikan eine tiefgreifende Wende.Die 1948 von den Vereinten Nationen in Kraft gesetzte Charta der Menschenrechte wird als "Akt von höchster Bedeutung" bezeichnet.

Bemerkenswert findet es Metternich, dass ein jüdischer Komponist wie Darius Milhaud sich dieses in Latein verfassten und für damalige Kirchenverhältnisse ungemein politischen Dokuments annimmt und es umgehend in Musik übersetzt.  "Eine detailreiche Tonsprache mit vielen berührenden Stellen, aber eben auch keine einfache Kost und musikalisch durchaus fordernd: dissonant und bitonal", erklärt der Dommusiker. "Ungemein beeindruckend, wie Milhaud das umfassende päpstliche Schriftstück in sieben Sätze gliedert und darin alle wesentlichen Kernaussagen von Johannes XXIII. bündelt."

Domkapellmeister Eberhard Metternich

"Mit diesem Konzert wollen wir darauf aufmerksam machen, wie unbeirrt die Kirche damals vorangegangen ist, nicht tatenlos zugesehen hat, sondern sich in einer höchst angespannten Situation eingemischt hat."

Vorrangig und gleich am Anfang steht inhaltlich die große Friedenssehnsucht des Menschen zu allen Zeiten, die mit der Kernbotschaft "Friede auf Erden den Menschen – Pacem in terris", ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium, beginnt. Im weiteren Verlauf geht es  um Stichworte, die in diesem Kontext von großer Bedeutung sind und dieses ersehnte friedliche Zusammenleben angesichts der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen erst regeln.

Auch die älteren Sängerinnen des Mädchenchores sind an diesem Domkonzert beteiligt / © Beatr (DR)
Auch die älteren Sängerinnen des Mädchenchores sind an diesem Domkonzert beteiligt / © Beatr ( DR )

Zum Beispiel freie Religionsausübung, Recht auf Migration, Pflichten in einer humanen Gesellschaft, technischer Fortschritt, Vernunft als Regel des menschlichen Willens, Verhältnis der Staaten untereinander, Gerechtigkeit, Umgang mit Geflüchteten, Gleichberechtigung des Menschen ohne Diskriminierung einzelner Rassen, Abrüstung, Wahrheit – und immer wieder Frieden.

"Mit diesem Konzert wollen wir darauf aufmerksam machen, wie unbeirrt die Kirche damals vorangegangen ist, nicht tatenlos zugesehen hat, sondern sich in einer höchst angespannten Situation eingemischt hat", so Metternich. "Das war nicht nur mutig, sondern auch eine Mahnung, an der wir noch heute Maß nehmen können."

Domkonzert mit Domchören und Gürzenich-Orchester

Das Große Domkonzert findet am 27. September um 20 Uhr im Kölner Dom statt. Mitwirkende sind: Kathrin Zukowski, Sopran, Elvira Bill, Alt, Jörg Dürmüller, Tenor, Matthias Winckhler, Bassbariton, der Mädchenchor am Kölner Dom, Männerstimmen des Kölner Domchores, das Vokalensemble Kölner Dom und das Gürzenich-Orchester Köln unter der Leitung von Domkapellmeister Eberhard Metternich.

Großes Domkonzert / © Tomasetti (DR)
Großes Domkonzert / © Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR