Ukrainischer Bischof nennt Kyrills Verhalten eine Tragödie

"Zum Patriarchen des Aggressors geworden"

Bischof Bohdan Dzyurakh, Apostolischer Exarch für die Ukrainer, hat sich bei der Vollversammlung zum Krieg gegen sein Land geäußert. Im Verhalten der russisch-orthodoxen Kirche sieht er eine "große Kompromittierung des Christentums".

Bischof Bohdan Dzyurakh (2.v.r.), Apostolischer Exarch für die Ukrainer in Deutschland und Skandinavien / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bischof Bohdan Dzyurakh (2.v.r.), Apostolischer Exarch für die Ukrainer in Deutschland und Skandinavien / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es ist schrecklich, dass wir uns an die Nachrichten zu gewöhnen beginnen, dass jeden Tag in der Ukraine Menschen sterben. Für Sie ist das anders. Sie muss das jeden Tag schmerzen.

Bischof Bohdan Dzyurakh CSsR (Apostolischer Exarch für die Ukrainer mit Sitz in München, zurzeit Gast bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Wiesbaden): Selbstverständlich. Wir schlafen ein und wir wachen mit den Gedanken auf: Was ist los in unserer Heimat? Und leider gibt es noch keine guten Nachrichten für uns. Aber wir verlieren die Hoffnung nicht, denn da sind wir von Gottes Gnade getragen. Der Aggressor hat uns damals drei Tage gegeben und nach den drei Tagen sollte die Ukraine schon aufhören zu existieren. Aber es war nicht der Fall.

Dank der Hilfe Gottes, aber auch der Tapferkeit unserer einfachen Menschen, der Einwohner von Kiew, die mit großer Aufopferung die Hauptstadt verteidigt haben, konnten wir überstehen. Wir haben inzwischen auch 54 % des besetzten Territoriums befreit. Unser Volk mit unseren Verteidigern, mit unseren Soldaten, aber auch mit unseren Volunteers zeigen der Welt das Beispiel der großen Aufopferung und der Liebe zur Heimat zueinander.

DOMRADIO.DE: Sie haben Kontakt zu den Seelsorgern vor Ort. Wie ist denn überhaupt Seelsorge unter diesen Kriegsbedingungen möglich und auch nötig?

Bischof Bohdan Dzyurakh

"Wir sind sehr unseren Seelsorgern dankbar, die in ihren Pfarreien geblieben sind."

Dzyurakh: Das Wichtigste war für uns, bei den Menschen auszuharren und ihnen an der Seite zu stehen. Das ist die Aufgabe der Kirche, die sich als Mutter versteht und betrachtet sein will. Und die Mutter kann nicht gleichgültig beobachten, wenn die Kinder dann erniedrigt werden in ihrer Würde oder sogar getötet werden. So war es für uns sehr wichtig, bei den Menschen dabei zu sein. Wir sind sehr unseren Seelsorgern dankbar, die in ihren Pfarreien geblieben sind. Auch wenn sie eigene Familie gehabt haben, haben sie die Gläubigen nicht verlassen. Und das war auch ein Zeichen für die Leute, dass Gott sie nicht verlassen hat.

DOMRADIO.DE. So kann Religion, so kann die Kirche den Menschen helfen. In Russland wird Religion allerdings als Mittel zur Kriegsführung auch eingesetzt, als ideologisches Mittel. Wie beurteilen Sie das?

Bohdan Dzyurakh

Der Apostolische Exarch, Bischof Dr. Bohdan Dzyurakh CSsR, wurde am 20. März 1967 in Hirske bei Lemberg in der heutigen Ukraine geboren. Am 17. März 1991 empfing er die Priesterweihe und trat in die Ordensgemeinschaft der Redemptoristen ein, wo er am 19. August 1995 sein Ordensgelübde ablegte.

Bohdan Dzyurakh, Apostolischer Exarch für die Ukrainer / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bohdan Dzyurakh, Apostolischer Exarch für die Ukrainer / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Dzyurakh: Das ist eine Tragödie für diese Kirche, für diese Gesellschaft, weil die schlimmsten Zeiten in der Geschichte des Volkes Gottes waren, in denen kein Prophet da war. Das waren die Zeiten der Dunkelheiten, Ungewissheit und auch vielen Verbrechen und des vieles Leiden. Ich glaube, das ist eine Tragödie für das russische Volk, dass sie keine moralische Autorität mehr haben, die ihnen Hinweise, Richtlinien geben kann, wie sie sich dann in heutiger Zeit verhalten können.

Das ist eine große Kompromittierung des Christentums und des Evangeliums, wenn ein Oberhaupt der Kirche den Krieg, das Töten der Kinder, die Zerstörung von einem Nachbarland rechtfertigt und gar segnet. Ich kann eine solche Situation nur bedauern und für die Ursache von solchen Situationen beten.

DOMRADIO.DE. Und die orthodoxe Kirche ist in diesem Punkt unversöhnlich gespalten?

Bischof Bohdan Dzyurakh

"Auf einmal können sie nicht verstehen und begreifen und akzeptieren, dass ihr bisheriger Patriarch zum Patriarchen des Aggressors geworden ist."

 

Dzyurakh: Bedauerlicherweise gibt es in der russisch-orthodoxe Kirche wenige Stimmen, die den Mut gehabt haben, diesen Krieg zu verurteilen. Sie können sich vorstellen, es gibt über 40.000 Priester und nur 300 davon haben die Stimme gegen den Krieg erhoben. Das ist weniger als 1 %. Keiner der Bischöfe hat mit nur einem Wort den Krieg verurteilt. In der Ukraine ist glücklicherweise die Situation anders.

Alle Kirchen haben sich von Anfang an ganz klar gegen die Aggression geäußert und auch haben sie versucht, mit jedem Mittel dem Volk beizustehen, die leidenden Menschen zu begleiten und ihnen zu helfen. Die orthodoxe Kirche in der Ukraine, die mit Moskau verbunden ist, erlebt auch eine Zeit der Krise.

Es ist eine Krise der Identität, denn am meisten sind eben die Mitglieder dieser Kirche diejenigen, die vom Krieg betroffen wurden und die infolge des Krieges am meisten leiden. Und auf einmal können sie nicht verstehen und begreifen und akzeptieren, dass ihr bisheriger Patriarch zum Patriarchen des Aggressors geworden ist.

DOMRADIO.DE. Welche Rolle kann da die katholische Kirche in Deutschland spielen? Sie kann solidarisch sein. Was kann die deutsche katholische Kirche auch für die Ukraine tun und leisten?

Dzyurakh: Die katholische Kirche in Deutschland macht bereits seit Jahrzehnten sehr viel für alle Christen in der Ukraine. Man braucht nur an Hilfswerke wie Kirche in Not oder Renovabis zu denken und auch an zahlreiche humanitäre Initiative, die zwischen den Diözesen in Deutschland und denen in der Ukraine seit Jahren andauern.

Mit dem Ausbruch dieses Krieges vor zwei Jahren wurde diese Solidarität noch gewaltiger. Als die ersten Bomben auf dem ganzen Territorium der Ukraine explodiert waren, ist auch gleichzeitig hier in Deutschland die Welle der Solidarität, des Mitleids explodiert. Diese Explosion der Liebe bewegt uns immer wieder und wir sind unendlich der deutschen Kirche und dem deutschen Volk dankbar, dass die Leute hier mit so großem Herzen auf unsere Tragödie reagiert haben.

Die haben nicht nur die Grenze Deutschlands geöffnet, sondern vor allem die eigenen Herzen und auch, was bewundernswert ist, eigene Häuser für unsere Flüchtlinge aufgemacht und sie so freundlich und liebevoll aufgenommen. Es werden inzwischen sehr viele Spenden auch für zahlreiche Projekte verwendet, und ich bewundere, dass diese Hilfsbereitschaft weiterhin besteht. Und das ist für mich ein Beweis, dass hier die Liebe am Werk ist.

Das Interview führte Joannes Schröer.

Quelle:
DR